Über Lesen und Schreiben – eine Ausstellung

Im Kölner Wallraf-Richartz-Museum läuft bis zum 15. Januar 2023 noch eine intelligente, anregende Kabinett-Ausstellung zu den Themen „Lesen und Schreiben“, die Hanns Zischler kuratiert hat:

https://www.wallraf.museum/ausstellungen/aktuell/2022-09-23-zischler/

Zischlers Auswahl von vierzig Fundstücken aus der Graphischen Sammlung des Museums umkreist die Themen vor den alles verändernden Zeiten der Digitalisierung. Daher geht es um das, was „zur Hand ist“ – und damit um das alte Schreibmaterial (Pergament und Papier), um den Brief, die Zeitung und lesende und studierende „Charaktere“, die in Zeichnungen kleiner und großer Meister eingefangen und porträtiert werden.

Ich empfehle den Besuch sehr, und ich empfehle den kleinen Katalog, der eine visuelle Freude ist (15 Euro, im Museumsshop erhältlich).

Kölner Schwemme

Kölner Schwemme. Rembrandt-Schule, 17. Jahrhundert.  Das kleinformatige Genrebild aus der Rembrandt-Schule arbeitet mit den typischen Charakteristika der Rembrandtschen Malweise. Mit dem dunklen, nur leicht ausgeleuchteten Vordergrund kontrastiert die Lichtschleuse des Brauhauseingangs, durch die das Licht strahlend in die Schwemme flutet. Die Verbindung zum Innenraum stellt der blass belassene Fußabtreter her. Die Schwemme selbst ist leer, so dass die runden Ausschanktische zur Rechten einladend in Erscheinung treten. Das Glasbild in der Eingangstür zeigt das Kölner Stadtwappen, daneben thront gut sichtbar ein Kölschtablett. Das Kölsch selbst ist in seiner hellen Farbigkeit bewusst ausgespart, um das Genre des Trinkbildes zu vermeiden. Nur die leeren Stangen am Tresen verweisen in Erwartung auf die baldige Füllung. Auch das Personal wirkt nicht inszeniert, der Köbes im Vordergrund überprüft vielmehr eine Bestellung und tut das in sachlicher, aber nicht penetranter Manier. Die dunkelbraune Farbigkeit von Tischen und Boden ist typische Rembrandt-Schule, die ruhige Stille ins Bild bringenden Lampen entwerfen die schlichten Gelb-und Goldakzente in den Ecken, die Rembrandt selbst so gekonnt einzusetzen wusste.

Das Buchmessen-Wochenende

Heute, Samstag, 22.10.2022, beginnt das Buchmessen-Wochenende. Noch zwei Tage haben die Leserinnen und Leser Zeit, die Stände der Verlage, die Bauten der großen Hallen und die Performances aller Beteiligten zu sehen und zu erleben.

Die Frankfurter Buchmesse ist keine Trampelpfadarena für Menschen, die einzelne Bücher in die Hand nehmen und versonnen darin blättern. Das können sie besser und animierter in guten Buchhandlungen tun. Während der Buchmesse sollten die Leserinnen und Leser eher das Gespräch mit den Verlagsmenschen suchen. Also rein in die Stände und Kojen: Guten Tag, ich heiße Bella – und wie heißen Sie und was genau machen Sie hier und was im Verlag?

Die Verlagsmenschen freuen sich darauf, angesprochen zu werden. Sie haben viele Tage langweiliger interner Gespräche hinter sich. Was erwarten sie vom Wochenende? Die Neugier des Publikums, sein Interesse, ausgefallene Fragen, gute Unterhaltungen. Laden Sie doch ruhig einmal eine Lektorin, einen Hersteller oder die Assistentin der Presseabteilung zu einem Kaffee/einem Tee/einem Glas XY ein.

Solche Einladungen könnten ungewohnten Schwung in die Szenen bringen. Vielleicht ergeben sich sogar Meetings am Samstagabend, in der Stadt. Sonntagfrüh schläft man ein paar wenige Stunden, und danach hört und sieht man um 10.45 Uhr in der ARD die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan.

Dessen neues Buch Himmel über Charkiw. Nachrichten vom Überleben im Krieg  ist gerade im Suhrkamp-Verlag (aus dem Ukrainischen von Juri Durkot, Sabine Stöhr und Claudia Dathe) erschienen.

Beide Titel stimmen genau: Es geht um Charkiw, die Stadt, in der Serhij Zhadan den Beginn des Ukraine-Krieges erlebt hat. Seine ersten Nachrichten sind vom 24. Februar 2022, 15.05 Uhr – und die Schlussbemerkung (S.226) lautet: „Bei Drucklegung der Übersetzung am 24. August 2022 wird Charkiw wieder heftig beschossen. Der Autor bleibt in der Stadt und setzt seine täglichen Eintragungen auf Facebook fort.“

Trinkkumpane unter sich

Auf dem zentralen Platz des Messegeländes der diesjährigen Frankfurter Buchmesse stellt das Gastgeberland Spanien Ausschnitte aus bekannten Gemälden aus, die im Prado in Madrid hängen.

Diese Präsentation hat mir sehr gefallen. Leider eilen fast alle Messebesucher an den Bildern vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Ich selbst aber habe einige Zeit damit verbracht und ihre Details studiert. Was für ein schöner Einfall, die Bücherwelten mit erzählenden Bildern zu konfrontieren!

Eines dieser Bilder hat Diego Velázquez um 1628 gemalt, betitelt ist es Der Triumph des Bacchus. Natürlich, es geht um den Triumph des Weingottes, der einige Freunde seiner bacchantischen Orgien um sich schart und einen von ihnen auszeichnet.

Man könnte sie „Trinkkumpane“ nennen, und genau das habe ich im Stillen getan und mich an meinen Text über den „Trinkkumpan“ erinnert, der jetzt in meinem neuen Buch Charaktere in meiner Nähe (Reclam-Verlag) zu finden ist. Hier ist er:

Der Trinkkumpan

Der Trinkkumpan trinkt am liebsten zu zweit, und er hat viele Freunde, die seine Gesellschaft beim Trinken zu schätzen wissen.

Manchmal ruft er einen an und lädt ihn zum Trinken ein. Dann folgen die beiden strengen Ritualen, die sich jeweils danach richten, was und wo man etwas trinken will.

Er streift aber auch gerne durch die belebte Stadt und schaut nach, wo ein anderer Trinkfreudiger darauf warten könnte, beim Trinken Gesellschaft zu haben.

Trinkgelage mit ihm dauern mehrere Stunden. Sie zielen nicht darauf, betrunken zu werden, sondern darauf, die mögliche Trunkenheit durch hellwache, interessante Gespräche zu unterlaufen. Dann ergibt sich ein leichtes Schweben oder eine gewisse Trance, als hüllte die Welt einen in eine dünne, luftige Decke.

Hat er lange gesprochen und getrunken, vergisst er fast alles, was er gesagt und gedacht hat. „Das habe ich wirklich gesagt?“ fragt er lächelnd, wenn man ihn  einige Tage später darauf anspricht.

Das Gesagte und Vergessene geht aber nicht verloren. Es gärt weiter in seinem Kopf und erlebt seine unerwartete Auferstehung beim nächsten Trinkgelage.

Mit einer Freundin fällt ihm das gemeinsame Trinken schwer. „Frauen hören anders zu und trinken ganz anders“, sagt er, „mein Trinken wird ihnen möglicherweise lästig, und lästig möchte ich niemandem fallen. Deshalb lasse ich es lieber gleich und trinke mit Freundinnen guten, starken Kaffee.“

Mahlzeiten während des Trinkens sind verpönt, sie würden das Trinken an den Rand drängen. Möglich sind aber Häppchen oder kleine, unauffällig wirkende Imbissspeisen, die rasch wieder vom Tisch verschwinden. In Köln zum Beispiel begleiten Röggelchen mit Mett und Zwiebeln das Trinken von unzähligen Kölsch.

Er liebt Fußballspiele und geht gern ins Stadion. Während der Spiele trinkt er nur wenig und hat auch danach keine Lust, sich als Trinkkumpan zur Verfügung zu stellen: „Vor manchen schönen Dingen muss man Respekt haben und darf sie nicht mit allem und jedem vermischen…“

Er mag es nicht, wenn Männer beim Trinken singen: „Es gibt kaum etwas Schlimmeres.“

Meine Bücher im Herbst 2022 – 1

Heute Abend um 18 Uhr wird im Frankfurter Römer zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse der Deutsche Buchpreis 2022 verliehen. Sechs Bücher wurden in einer Shortlist nominiert… – ich nominiere ganz andere, und zwar nicht nur sechs, sondern viel mehr. In den nächsten Tagen und Wochen werde ich sie als meine Bücher des Herbstes 2022 empfehlen.

  • Alain Claude Sulzers Roman Doppelleben (Galiani) führt im Paris des späten neunzehnten Jahrhunderts in die Schreibstuben der Brüder Goncourt, die ihre Romane und Bücher zu zweit schrieben und später mit ihren Tagebüchern Weltruhm erlangten (vgl. meinen Eintrag vom 29.9.2022).
  • Norbert Scheuers Roman Mutabor (C.H. Beck) – führt in die vertraute Heimatstadt Scheuers, das kleine Kall in der Eifel. Eine junge Frau ist auf den Spuren ihrer Eltern, niemand kann ihr helfen, erst allmählich werden die Konturen des geheimen Vergangenen sichtbar und mit ihnen die karge Schönheit einer Landschaft.
  • Angela Steideles Roman Aufklärung (Insel-Verlag) – führt in das geschäftige Leipzig des 18. Jahrhunderts, wo die neusten philosophischen, literarischen und musikalischen Ideen der Aufklärung im Wettstreit der Künste Gestalt annehmen. Dorothea Bach, die Tochter der großen Johann Sebastian, erinnert sich an diese Debatten und verleiht ihnen in ihren Aufzeichnungen eine dezidiert weibliche Perspektive.

Herbstlesung im Westerwald

Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs, morgen, am 16.10.2022, 11 Uhr, lese ich in meinem westerwäldischen Heimatort Wissen/Sieg (KulturWERK, nahe am Bahnhof) aus meinen beiden neuen Herbstbüchern!

Ich freue mich auf Ihren Besuch und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

 

Im herbstlichen Garten

Die Hinwendung zum Thema „Garten“ ist seit Beginn der Pandemie immer stärker geworden. Dabei stehen die Implikationen des „Ökosystems“ im Vordergrund. In der 3sat-Mediathek findet man dazu einen informativen Film:

https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/221013-sendung-oekosystem-garten-wido-100.html

Mir geht es aber nicht nur um Nutzen und Ertrag eines Gartens, sondern auch darum, ihn als „hortus conclusus“ zu betrachten, der, schlicht gesagt, große Freude macht.

So habe ich in meinem Buch In meinen Gärten und Wäldern versucht, den eigenen Garten und die darin vorhandenen Pflanzen ein Gartenjahr lang zu beobachten und seine „Erscheinungen“ auf besondere Weise zu beschreiben.

Das schön gestaltete, mit meinen Fotografien bebilderte Buch liegt jetzt in einer zweiten, erweiterten Auflage vor!

Charaktere 3

Die „Charakterstücke“, die ich heute Abend während meiner Lesung im Stuttgarter Literaturhaus (ab 19.30 Uhr) einspielen werde, sind Beispiele aus dem neunzehnten Jahrhundert, als viele Komponisten die tradierten musikalischen Gattungen (Sonate etc.) als zu starr empfanden und auf freiere, der Improvisation nahekommende Formen auswichen.

„Charakterstücke“ entstanden damals vor allem für das Klavier. Es waren Kompositionen, die einen atmosphärischen Zustand oder eine Gestalt/Figur vergegenwärtigen und umkreisen wollten.

Die meist kurzen, nur wenige Minute langen Stücke hatten oft einen reflektierenden oder darstellenden Gestus. Sie waren der Erzählung oder einem Bild nahe und ergaben in einer bestimmten Reihung einen Zyklus.

Das berühmteste Beispiel sind Robert Schumanns Kinderszenen (1838), in denen sowohl die Spiele der kindlichen Welten (Hasche-Mann) erscheinen als auch die Spielenden selbst (Kind im Einschlummern), in „charakteristischen“ Momenten des kindlichen Ausdrucks.

Charaktere 2

Heute ist für mich ein Festtag, denn heute erscheint mein neues Buch Charaktere in meiner Nähe (Reclam-Verlag). In fünfzig Miniaturen erzähle ich von Menschen in meiner Umgebung, von ihren Eigenheiten, Leidenschaften und Spleens.

Ich setze damit ein Genre fort, das seit der Antike für viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu einem wichtigen Genre der präzisen Beobachtung von Menschen und der Gestaltung von Figuren geworden ist. In der Moderne haben Charles Dickens (in seinen Londoner Skizzen) und Honoré de Balzac (in seiner Theorie des Gehens) dieses Genre im Blick auf die Passanten von London und Paris belebt und weitergeführt.

Die Premierenlesung findet am kommenden Donnerstag, 13.10.2022, 19.30 Uhr, im Stuttgarter Literaturhaus statt. Das Ganze wird keine dröge Lesung, sondern eine passionierte Reise durch ein literarisches Feld, das von den Künsten ebenso wie von der Musik variiert worden ist.

Ich zeige also auch Bilder, ich lasse Musik (u.a. von Robert Schumann und Eric Satie) einspielen, und ich setze mit Francis Scott Fitzgeralds Notebooks (im dem ebenfalls gerade erschienenen Buch Der Moment der Schönheit) über in die USA.

Alle Leserinnen und Leser dieses Blogs sind herzlich zu dieser besonderen Lesung eingeladen. Es gibt noch ein paar wenige Karten!