Putins Krieg 2

Der Krieg in der Ukraine beherrscht die Gedanken ununterbrochen. Frage mich laufend, wie „angemessene Reaktionen“ auch im privaten, im Grunde hilflosen Bereich aussehen könnten.

Die Unbekümmertheit früherer Tage ist vollständig dahin und einer steten Selbstbefragung gewichen: Was weiß ich denn über die Ukraine? Was genau ist seit den 90er Jahren dort geschehen?

Meine seit Tagen anhaltenden „Recherchen“ (Bücher, Filme, Bilder) machen auf mich den unangenehmen Eindruck einer fragwürdigen „Wiedergutmachung“, als wäre mein Nichtwissen eine Art Schuld.

So gesehen, haben die „Recherchen“ etwas von gezielter „Ablenkung“: Als wollte ich auf dem Umweg über nachgeholtes Wissen die momentan täglich in den Medien zu verfolgenden dramatischen Bilder „ruhig stellen“. Was sich natürlich als unmöglich erweist…

Meine Kölner Freundinnen und Freunde schickten mir die Titelseite des Kölner Stadt-Anzeigers mit dem Foto der 250 000 Menschen, die an der Kölner Großdemonstration teilnahmen.

Die Verwandlung eines Rosenmontagszugs in eine politische Demonstration – das war in Köln kein leichtes Projekt, wenn man sich die Trinkwilligkeit und den unbedingten Amüsierwillen vieler Kölnerinnen und Kölner gerade an diesem Tag in Erinnerung ruft. Ich hatte daher Bedenken, ob alles „gutgehen“ würde.

Meine Freundinnen und Freunde erzählten mir: Es war ein sehr „angemessen“ ruhiger Umzug, keine Trinkgelage an den Rändern, überhaupt keine falschen Töne, Gesänge, Texte. Worauf ich als Kölner (im Stillen) stolz war…, ohne dass dieser bequeme Stolz nun wirklich weiter geholfen hätte.

Was bleibt? Recherchieren, weiter recherchieren…

Ukrainische Lektionen

2015 widmet sich der Osteuropa- und Russland-Experte Karl Schlögel in einem Buch der Ukraine: „Ich musste feststellen, dass man sich ein Leben lang mit dem östlichen Europa, mit Russland und der Sowjetunion beschäftigen konnte, ohne eine genauere Kenntnis von der Ukraine zu besitzen – und ich war nicht der einzige im Fach, der zu dieser Einsicht kam.“

Er reist nach Lemberg und Kiew, nach Odessa, Charkiw, Dnipropetrowsk, Donezk und Czernowitz, dort entstehen Städteporträts, die er zum einen aus eigener Anschauung, zum anderen aber auch durch seine bewährte Methode, Topographien von Städten historisch zu lesen, gewinnt.

So entsteht Schlögels Buch Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen (Tb im  S. Fischer-Verlag), das in diesen Kriegstagen helfen könnte, die Sicht auf die Ukraine zu vertiefen. Eines der einleitenden Kapitel weist die Richtung: Sich ein Bild machen. Die Ukraine entdecken…

Das große Tor von Kiew

In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts schaut sich der russische Komponist Modest Mussorgskij (1839-1881) Bilder einer Ausstellung seines Malerfreundes Viktor Hartmann (1834-1873) an. Darunter befindet sich auch der architektonische Entwurf eines Stadttores von Kiew:

Mussorgskij komponiert danach eine aus zehn Sätzen bestehende Klaviermusik, die wie ein Rundgang durch diese Ausstellung angelegt ist und später von anderen Komponisten auch orchestriert wird.

Die Nummer X ist Das große Tor von Kiew, deren Interpretation durch Katja Buniatishvili ich aus gegebenem Anlasss in meinen heutigen sonntäglichen Blogeintrag stelle: 

Krieg in der Ukraine

…Recherchen, ausgedehnte Recherchen… –

ARTE zeigt einen Film der Regisseurin Claire Walding, der die Entstehung des Krieges in der Ukraine dokumentiert und die Hintergründe erhellt:

https://www.arte.tv/de/videos/098816-001-A/krieg-in-europa-das-ukraine-drama/

Putins Krieg

Tage wie der gestrige führen zu einer Schockstarre. Fortgesetzte Nachrichtenzufuhr, als habe man nicht genau verstanden. Was passiert da gerade?

Fragen solcher Art werden nur punktuell beantwortet, denn das Nachrichtenangebot reicht nicht aus, um die weiten und schrecklichen Dimensionen der Vorgänge zu verstehen oder gar zu deuten.

Zurückgeworfen auf die vermeintlichen, kleinen Gewissheiten, bleibt das Ausharren: Unruhiges Sitzen, aufstehen, ein paar Schritte tun, verfolgt von Bildern, Sätzen und Nebenschauplätzen. Die Paraden der politischen Kommentare helfen jedoch nicht weiter, während die offene Zukunft einen immer bedrohlicheren Charakter annimmt.

Was tun? In regelmäßigen Abständen meldet sich die Frage und hinterlässt nichts als Hilflosigkeit. Telefonate mit den Freundinnen und Freunden.

Wie harmlos und verblendet erscheint jetzt das Leben der letzten Jahre in unseren westlichen Regionen, während im Osten der Krieg Stück für Stück vorbereitet wurde!

Schließlich, ermüdet von der steten Wiederholung der Nachrichten und „Einordnungen“: die Suche nach gründlicherer Aufklärung, nach Texten und Büchern, nach Erzählungen und Geschichten.

Recherchen, ausgedehnte Recherchen…- und? Das soll helfen?!

Walk! im Vorfrühling

Vorfrühling! Die Lust, weit zu gehen und nahe Terrains zu erkunden, meldet sich vehement.

Anregungen für Facetten eines inspirierten Gehens könnte eine Ausstellung mit dem Titel Walk! bringen, die vor wenigen Tagen in der Franfurter Schirn eröffnet worden ist und noch bis zum 22. Mai 2022 gezeigt wird:

https://www.schirn.de/ausstellungen/2022/walk/

Zu sehen sind Arbeiten von über vierzig Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt, die das Gehen in unterschiedlichen künstlerischen Verfahren thematisiert haben. Fotos, Videos, Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen – hoch interessant ist es, genauer zu beobachten, mit welchen Mitteln das Thema eingefangen und dargestellt wird. (Auf Verfahren der neueren Literatur werde ich in weiteren Blogeinträgen noch eigens hinweisen…)

Die Kunst des Notierens 2

Angenommen, wir haben es als Schreiberinnen und Schreiber geschafft, regelmäßig zu notieren, was uns auf- und einfällt. Dann stellt sich als nächstes die Frage, wie wir unsere Notizen überblicken. Ordnen wir sie nach Themen? Oder chronologisch? Kleben wir sie in unterschiedliche Hefte? Oder überlassen wir sie der Spontaneität des Zufalls und werfen sie in einen Karton, um sie dann und wann wie Spielelemente durchzumischen?

Für all diese Ordnungsverfahren gibt es in der Geschichte viele überzeugende Beispiele. Morgen, Dienstag (22.02.2022), schaue ich sie mir mit Hektor Haarkötter, dem Autor des Klassikers Notizzettel. Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert (S. Fischer), im Stuttgarter Literaturhaus (19.30 Uhr) genauer an. Zusammen entwerfen wir Strategien des Notierens und Skizzierens, als Vorstufen zu möglichen Werkzusammenhängen.

Hier weitere Angaben zu diesem kreativen Abend:

https://www.literaturhaus-stuttgart.de/event/notizzettel-5184.html

Die Kunst des Notierens 1

Hätte ich als Juror die Gelegenheit, den Preis der Leipziger Buchmesse 2022 für das beste Sachbuch der Saison Herbst/Winter zu vergeben, so hätte ich Hektor Haarkötter für sein fulminantes Buch Notizzettel. Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert (S. Fischer) ausgezeichnet.

Flüchtig betrachtet, handelt es sich um die (übrigens erste) Kulturgeschichte des Notizzettels. Auf den zweiten Blick aber geht es um die für jede Werkentstehung zentralen Fähigkeiten des Notierens und Skizzierens und damit um die Verwandlung von Einfällen in geweitete Denkzusammenhänge.

Das eigentliche Thema des Buches wird also im Untertitel fixiert: Anhand von Notaten bedeutender Schriftstellerinnen und Schriftsteller, aber auch anhand von Skizzen bedeutender Künstlerinnen und Künstler werden Spuren und Wege des Assoziierens, Begreifens und Denkens entworfen. So nähert sich Hektor Haarkötter den meist im Dunkeln bleibenden Szenen des kreativen Erlebens und Gestaltens.

Am kommenden Dienstag (22.02.2022), 19.30 Uhr, werde ich mich mit dem Autor über all diese Themen im Stuttgarter Literaturhaus unterhalten. Anhand von Skizzen, Zeichnungen und Notizzetteln werden wir die Hypnosen einer Kreativität untersuchen, die seit den Zeiten Leonardo da Vincis Denken und Schreiben geformt und bestimmt hat.

Einen solchen Abend sollte man sich nicht entgehen lassen. Am besten erlebt man unser Gespräch vor Ort, das würde Hektor Haarkötter und mich am meisten freuen. Nichts geht über die persönliche Begegnung mit Leserinnen und Lesern, gerade in diesen Zeiten!

Hier die näheren Informationen:

https://www.literaturhaus-stuttgart.de/event/notizzettel-5184.html

(Das Foto zeigt den Zettelkasten von Arno Schmidt für sein Buch „Seelandschaft mit Pocahontas“)

August Sander in Siegen

Im Museum für Gegenwartskunst in Siegen läuft seit Ende Januar 2022 eine bereits viel besuchte Ausstellung, die das fotografische Werk von August Sander (1876-1964) mit Fotografien von Gegenwartskünstlerinnen und -Künstlern konfrontiert:

https://www.mgksiegen.de/de/ausstellungen/4417/nach-august-sander

Anlass dieser bedeutenden und klug konzipierten Ausstellung ist der Erwerb von 70 Fotoabzügen, die August Sander noch zu Lebzeiten für eine Präsentation im Siegerland zusammengestellt hat. Sie sind gleichsam die Vorlage für die gegenwärtigen Sichtweisen, die sich an der Darstellung der menschlichen Person, den Signalen ihres Auftretens, den Formaten ihrer Gesichter und Kleidung sowie der Umgebung orientieren.

In zwei umfangreichen Essays habe ich das fotografische Werk von Sander bereits genauer untersucht. Man findet beide, die man auch als mögliche Begleitung durch die Ausstellung lesen könnte, in meinem Buch Im Westerwald.

Ich werde sie bald um einen dritten, neu geschriebenen Essay erweitern. Am 19.05.2022, 19 Uhr, werde ich ihn im Siegener Museum vorstellen: August Sanders westerwäldische Räume.

Über viele Besucherinnen und Besucher der Ausstellung und/oder über eine Teilnahme an meinem Vortragsabend würde ich mich sehr freuen.