Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich einen friedlichen Sonntag,
verbunden mit der Interpretation einer Fuge von Johann Sebastian Bach durch Daniil Trifonow…
Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich einen friedlichen Sonntag,
verbunden mit der Interpretation einer Fuge von Johann Sebastian Bach durch Daniil Trifonow…
Am 6.01.2021 und am 07.12.2022 habe ich aus Anlass des neuen Buches von Hektor Haarkötter über Notizzettel auf die grosse Bedeutung des Notierens für die Entstehung literarischer Werke hingewiesen.
Der norwegische Schriftsteller Tomas Espedal hat im Logbuch Suhrkamp nun auf sehr begeisterte und auch anrührende Weise davon erzählt, wie die Schriftstellerin Friederike Mayröcker mit ihren Notizzetteln verfuhr und aus ihnen einen Motiv-Vorrat für ihre Werke anlegte.
Hier kann man den schönen Text nachlesen:
https://www.logbuch-suhrkamp.de/tomas-espedal/mayroeckerzettelnotierungsmethode/
Die Schriftstellerin Angelika Overath hat in der Insel-Bücherei einen sehr anregenden Band über Krautwelten veröffentlich, geradezu ideal für diese Jahreszeit!
Anregend?! Wieso? Anregend gleich in mehrfacher Hinsicht. Es geht um Kraut in allen nur denkbaren Facetten und Hinsichten. Natürlich erscheinen Krautrezepte (Krautsalat, Kimchi!, Sauerkraut, Kohlsuppe etc.), dann aber auch Hinweise und Erläuterungen über die Heilkräfte von Kraut (wie etwa Umschläge mit Kraut).
Besonders gefallen haben mir die Krautporträts (von Weißkraut, Spitzkraut, Rotkraut, Wirsing, Blumenkohl, Rosenkohl, Grünkohl etc.), die jeder Kohlsorte einen kleinen Teppich ausrollen und sie in ihrer Eigenart und besonderen Schönheit präsentieren und auftreten lassen.
Dann geht es in die Kunstabteilung und zu Gemälden, auf denen der Kohl nicht nur in all seiner Nützlichkeit, sondern auch in seiner ästhetischen Erscheinung gewürdigt wird. Zum Glück werden die Gemälde (Cotáns Stilleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke von 1601 oder Aertsens Marktfrau mit Gemüsestand von 1567 oder die geradezu triumphalen Kohlpflanzen Segantinis von 1880) auch in Farbe abgebildet.
Daneben sind wir als Leserinnen und Leser mit Kraut auf hoher See, und während wir immer begeisterter Kraut essen und nochmal essen, erfahren wir, wie „Kraut und Liebe“ (ja, doch…) zusammengehören (es geht um Krautfilme, gebauschte Kohlblätter und Krautkleider aller Art…).
Angelika Overath erzählt im Vorwort, wie sie auf das Thema „Kohl“ gekommen ist. Am Anfang stand eine Wanderung im Oberengadin von Muottas Muragl (2453 m) hinauf zum Schafberg, wo sich die Segantini-Hütte befindet (2731m). Früher hat sie nach diesem Anstieg eine Schmerztablette genommen, jetzt würde sie es – den Heilkräften des Kohls sei Dank! – wohl auch ohne schaffen.
Was soll ich sagen und gestehen? Dass ich genau diesen Anstieg vor kurzem nicht geschafft, sondern aufgegeben habe, um mit der Seilbahn hinab ins Tal nach Sils-Maria zu Nietzsches anstiegsfreien Wanderwegen zu flüchten. Ach…
Ab ca. 8.15 Uhr brachen die Sonnenwetter durch, legten sich auf die Bergspitzen und liefen später wie ein goldener Guss an den Steinmassiven herab (zu verfolgen über das Alpenpanorama von 3sat)…
Er nahm die Bergbahn zur vertrauten Station Ellmau-Going und blickte auf die Flanken des Wilden Kaiser.
Nach etwa einer halben Stunde schnallte er die Skier an und fuhr in lang gezogenen Kehren ins Tal…
Jaroslav Rudiš (geb. 1972) ist ein tschechischer Schriftsteller, von dem zunächst mehrere Bücher in deutscher Übersetzung erschienen sind. Der Piper-Verlag hat jetzt seine Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen veröffentlicht, die mir wieder so richtig Lust darauf gemacht hat, bald wieder lange mit dem Zug zu fahren und zu reisen.
Rudiš ist durch und durch Eisenbahner, er wollte es bereits als Kind werden, konnte diesen Traum aber wegen einer Sehschwäche nicht verwirklichen. Sein Großvater und sein Onkel waren Eisenbahner und heirateten in Uniform, und der kleine Jaroslav spielte mit nichts lieber als mit Dampfloks. Später wohnte er bevorzugt in Zimmern mit Bahnblick, sammelte Kursbücher und hielt sich gerne in Bahnhofskneipen auf, um sich die Zeit bis zur erträumten Abreise zu vertreiben.
Von solchen Aufenthalten erzählt er in seinem passionierten Eisenbahnbuch, von seinen Fahrten mit berühmten Zügen, von den Freuden des Studiums der Fahrpläne, vom Speisen und Getränken auf Schienen – mit anderen Worten: Jaroslav Rudiš nimmt sich Zeit für seine Ekstasen! Er ist ein genauer und liebevoller Beobachter und ein Satiriker dazu, der auch die komischen Seiten des langsamen Fahrens zu schätzen weiß.
Ihm zuliebe habe ich eine Besonderheit als Begleitvideo zum Buch ausgewählt: Die Fahrt des Lichtraummesszugs LIMEZ von Ulm Hbf bis Wendlingen über die ICE-Neubaustrecke: eine fast dreistündige Testfahrt mit nicht mehr als 20 km/h…
Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich einen ruhigen Sonntag,
verbunden mit Musik der kanadischen Jazz-Pianistin Diana Krall…
Am 6.12.2021 habe ich in diesem Blog auf das wegweisende Buch von Hektor Haarkötter zur Geschichte des Notierens und der Notizzettel (Notizzettel. Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert. S.Fischer) hingewiesen, das man als eine Urgeschichte der literarischen Kreativität lesen kann. Mit Hilfe fortlaufender Notate haben viele Autorinnen und Autoren ein thematisches Feld erkundet und konzipiert. Notizen regten ein projektbezogenes (aber auch freies) Denken an, wodurch sie mit der Zeit zu einer Art Grundstock literarischer Arbeiten wurden.
Heute skizziert ein Artikel im österreichischen Standard, auf welche Weise man mit den Hunderten von Notizbüchern des Schriftstellers Peter Handke weiter verfährt: Wie macht eine digitale Edition sie für ein Leserpublikum zugänglich? Welche Schritte gehören dazu?
Auch und gerade im Fall Handkes sind seine fast täglich geführten Notizbücher mit ihren kurzen Notaten und Zeichnungen die Ausgangsinspirationen für Erzählungen und Romane, was sich anhand der geplanten digitalen Edition gut wird verfolgen lassen.
Deren Lektüre sollte aber nicht nur Literaturwissenschaftler beschäftigen, sondern Leserinnen und Leser aller nur denkbaren Genres. Sich in die Handschriften Handkes zu vertiefen, ist in jedem Fall ungemein anregend und liefert viele Ideen und Material für das eigene Schreiben.
(Kurzer zusätzlicher Hinweis: Am 22.02.2022 werde ich im Literaturhaus Stuttgart (19.30 Uhr) mit Hektor Haarkötter detailliert über sein Buch sprechen. Ich empfehle den Besuch!)
https://www.derstandard.at/story/2000132077404/online-notizbuecher-von-handke-geben-einblicke-in-nobelpreisliteratur?ref=rss
Im letzten Jahr erinnerte die Musikwelt an den vierhundertsten Todestag von Michael Praetorius (1571-1621). Die letzten Lebensjahrzehnte arbeitete er als Hofkapellmeister, Organist und Komponist in Wolfenbüttel.
Noch heute gespielt werden nicht nur seine bekannten Weihnachtslieder (wie z.B. Es ist ein Ros entsprungen), sondern auch seine weltlichen Tänze, die mit ihrem sehr besonderen Schwung eine vitale Lebensfreude ausstrahlen.
Die Capella delle Torre hat seine dances jetzt auf CD aufgenommen – und im letzten Sommer ein Projekt (Praetorius im Park) mit angestoßen und verwirklicht, das auch anderen Musikerinnen und Musikern Impulse für die Jugendarbeit in Coronazeiten geben könnte. (So hoffe ich jedenfalls…):
(Am 5.1.2022 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger, S.4)
Am Silvesterabend hatte ich mit Freunden das Silvesterkonzert in der Kölner Philharmonie besucht. Das Gürzenich-Orchester spielte Musik mit französischen und spanischen Wurzeln, und hinterher fühlten wir uns ein wenig, als wären wir im Süden Europas unterwegs. Wir zogen durch die Nacht und hatten vor, hier und da für ein Kölsch einzukehren, aber wir taten es dann doch nicht, sondern gingen weiter und weiter, in kleiner Runde. Es war ungewöhnlich warm, fast vorfrühlingshaft, das ließ uns weiter an den Süden glauben, und die spanisch inspirierte Musik ging uns nicht aus dem Kopf, sondern wollte an die frische Luft. Dann summte einer von uns eine Weile vor sich hin, und die anderen machten mit.
Ich erzählte von dem Buch eines Schriftstellers, in dem ich in letzter Zeit oft gelesen hatte. Es heißt Gehen allein unter Menschen und ist von dem Spanier Antonio Muñoz Molina. Auf über fünfhundert Seiten erzählt er von seinen Wegen durch große Städte, durch Madrid, Paris oder New York, immer allein, aber keineswegs einsam. Es ist ein Gehen in Gesellschaft der Zeichen, Dinge und Menschen ganz in der Nähe, ohne etwas wissen zu wollen, einzig konzentriert auf das Sehen und Hören. Der leise Abendwind, das Pfeifen der Schwalben, die visuelle Polyphonie der Buchstaben und Sätze an den Häuserwänden und hinter den Schaufenstern – das animiert den Spaziergänger, der kein Ziel kennt, sondern sich treiben lässt.
Mit der Zeit nimmt die Umgebung einen immer freundlicheren Charakter an – auch wir bemerkten es, als wir in den Norden der Stadt zogen und anderen Gruppen begegneten, die oft grüßten und sich auf Mitternacht vorbereiteten. Sie standen lose an den Straßenecken herum, saßen auf den Bänken der Plätze in Nippes, tranken Kölsch und unterhielten sich gedämpft, als fürchteten sie, in eine frühere Ausgelassenheit zurückzufallen. Die aber war nirgends spürbar, das Grüßen wollte kein Ende nehmen, und wir begriffen, dass es den vielen herumziehenden Scharen dazu diente, sich ihrer Zusammengehörigkeit in einer seltenen Silvesternacht zu vergewissern.
Selbst das Herunterzählen des Countdowns war nicht hörbar, sondern ging im Sausen der Raketenblüten unter, die über der lang gezogenen Neusser Straße bunte Strahlenbilder in das Himmelsdunkel zauberten. Nach Mitternacht nahm die allgemeine Entspanntheit noch zu, was mich an Formulierungen des Essayisten Daniel Schreiber erinnerte, der in seinem Buch Allein von der Kraft auch schwacher sozialer Bindungen geschrieben hatte. Solche oft täglich erhaltenen Impulse, die wir gemeinhin unterschätzten, hätten eine „Brückenfunktion“ und führten im Alltag unserer Städte im Idealfall zu einer „umsichtigen Freundlichkeit“.
Ich verstand gut, was er gemeint hatte, die umsichtige Freundlichkeit ist eine besondere Kölner Errungenschaft, die viele Fremde verblüfft und erstaunt, wenn sie sich die ersten Tage in unserer Stadt aufhalten. Natürlich hütete ich mich, davon in der Silvesternacht zu sprechen, das hätte nicht gepasst. Ich spürte aber, dass der Gedanke daran mich zu Beginn des Neuen Jahres optimistisch stimmte, und als ich später las, dass selbst Karl Lauterbach das Ende der Pandemie nicht mehr für unmöglich halte, hätte ich am liebsten gleich mit ihm angestoßen. Unverbindlich natürlich, aber doch hoffnungsfroh.
Die Krönung von alldem bescherte das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Daniel Barenboim dirigierte, und kurz vor dem Ende sprach er ein Grußwort. Er redete von der Schönheit eines Orchesters, das im Grunde ein Gemeinschaftskörper einander zugewandter Menschen sei. Jedes Instrument eine Eigenheit, und alle zusammen miteinander verbunden zu Klangcharakteren! Solche Bilder und Erlebnisse könnten uns helfen, einander nicht als Gegner, sondern als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen. Wenn die an ihr orchestrales Dasein glaube, werde die Pandemie bald überwunden sein! Meine Freunde und ich saßen bewegt vor dem Bildschirm, und es dauerte eine kleine Weile, bis der erste von uns sagte: „Also denn, Prost Neujahr!“
Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich einen entspannten, schönen ersten Sonntag im Neuen Jahr,
verbunden mit Salzburg, Mozart und einem denkwürdigen Konzert von den Salzburger Festspielen 2021!
https://www.3sat.de/kultur/musik/salzburger-festspiele-2021-teodor-currentzis-100.html