Kurze Auszeit

Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs, ich weiß, für viele von Ihnen ist es hart, aber ich muss es leider ankündigen: Etwa eine Woche werden Sie meine täglichen Texte vermissen. Ich bin dann in weiter Ferne und habe keinen Zugang zu elektronischen Medien. Den nächsten Eintrag finden Sie am 15. März 2018 (Beginn der Leipziger Buchmesse).

Sollte Sie das bis dahin zur Verzweiflung treiben, schicken Sie mir (zum Beispiel) ein Foto (plus Text) von einem Ding des Lebens. Wie immer unter ortheil.hannsjosef@gmail. com. Ich freue mich auf jeden Text von Ihrer Seite!

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

Schaute auf Empfehlung eines Freundes, der ein typischer Kinogeher ist (von so einem Typus erzählt etwa Walker Percy in seinem Roman The Moviegoer), den Film Three Billboards Outside Ebbing, Missouri. Ich war überrascht, wie genau sich der Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh an die klassischen Regeln des amerikanischen Creative-writing-Drehbuchs gehalten hat, um sie dann konsequent auf den Kopf zu stellen und zu unterlaufen.

Der Film beginnt mit einem starken, auslösenden Motiv, in das eine Rückblende (als eigene Geschichte) integriert ist. Eine Frau hat vor einigen Monaten ihre Tochter verloren. Sie wurde vergewaltigt, ermordet und verbrannt. Da die örtliche Polizei keine besonderen Anstalten zeigt, diese Verbrechen aufzuklären, lässt die Mutter außerhalb der Ortschaft drei große Werbeplakate anbringen, auf denen die Polizei zum Recherchieren und Handeln aufgefordert wird. Soweit die Disposition.

Nicht die (eventuell) einsetzenden Recherchen stehen danach aber im Mittelpunkt, sondern die Dramen, die das Aufstellen der Plakate bei allen Betroffenen (den Polizisten, der Mutter und ihren Nächsten) auslöst. Klassisches Creative-writing besteht darin, sich auf diesen engeren Kreis der Betroffenen zu konzentrieren und deren psychische Veränderungen (Figur für Figur, abwechselnd von der einen zur anderen und wieder zurück springend) einzufangen. Solche schleichenden Veränderungen treiben auf harte Konfrontationen und Auseinandersetzungen zu, die (ebenfalls eine nach der andern, sich steigernd) in Gewaltszenen explodieren.

Das wäre das Übliche. Die Brillanz des Films besteht nun aber darin, die angelegte Disposition laufend zu drehen und wenden. So geraten die Polizisten ebenso aneinander wie die Mitglieder der betroffenen Familie – wobei (mit geradezu penibler Gründlichkeit) die Kehrseiten jeder einzelnen Figur durchleuchtet werden. Die Mutter (Frances McDormand erhielt für die Rolle der Mildred Hayes gerade den Oscar als beste Hauptdarstellerin) ist von diesen Drehungen ebenso betroffen wie die Polizisten, jede einzelne Figur (und sei sie anfänglich noch so positiv oder negativ disponiert) gerät in die sich fortschreibende Psychodynamik des ersten starken Signals: Drei blutrote Werbeplakate mit lauter Fragen werden aufgestellt. Sie leuchten Tag und Nacht, sie werden verbrannt, sie werden erneuert – und das sogar zu einem Zeitpunkt, als der angeklagte Polizist sich längst das Leben genommen hat. (Er hat – grandiose Idee – die erneute Aufstellung der Plakate nach seinem Tod finanziert …)

Das Bild der drei hintereinander (gestaffelt) aufgebauten Werbeplakate in freier Landschaft wird man nie vergessen. Es ist ein Urbild der Angst: Dreimal wird die Geschichte sich wenden, bis sie alle zu Beginn konstruierten „Identitäten“ vollständig gelöscht hat. Es gibt kaum etwas Irritierenderes.

 

 

Die Dinge des Lebens 2

Friederike Schilbach hat hundert Frauen eingeladen, ihr ein Foto mit einem kleinen Begleittext zu schicken. Das Foto soll ein Detail des Badezimmers zeigen, meist ist es ein Gegenstand, den man durchaus auch als „Ding des Lebens“ bezeichnen könnte. In so einem Fall ist er kein Gegenstand des täglichen Gebrauchs, sondern eine kleine Ikone, die an eine eigene Lebensszene, eine bestimmte Stimmung oder einen anderen Menschen erinnert. Das Badezimmer, schreibt Friederike Schilbach, sei ein Ort, „an dem man sich selbst begegnet, im Spiegel, beim Zähneputzen, Eincremen, Haare zurechtmachen, auf dem Weg in den Tag oder in die Nacht“. Eben deshalb sei es ein besonders intimer Raum, „vielleicht der intimste der ganzen Wohnung“.

Genau diese Intimität, denke ich, macht das Badezimmer auch zu einem literarischen Raum, in dem Selbstgespräche, Monologe oder aus dem Stegreif improvisierte Dialoge (mit wem?) geführt werden. Im Badezimmer werden aber nicht nur Sprechen und Denken aktiviert, sondern auch Entwurf und Strukturierung der Körperbilder. Beide „Aktionen“ können einander begleiten, sich aber auch im Weg stehen. Sie können zu jenem schönen Schwung beitragen, der einen dann ins Freie, nach draußen, befördert, oder auch jene Verstimmung auslösen, die den ganzen weiteren Tag als tiefgrau erscheinen lässt.

The Bathroom Chronicles (100 Frauen. 100 Bilder. 100 Geschichten, hrsg. von Friederike Schilbach. Suhrkamp Verlag 2017) ist ein ganz wunderbares Buch geworden. Immer wieder blättere und lese ich darin, nicht mehr als ein paar Seiten. Dabei fange ich jedes Mal an, die auf den Fotos und in den Kurztexten angedeuteten Details weiter zu spinnen. Warum hängt im Bad der (von mir verehrten Schriftstellerin) Leanne Shapton ein Foto von Monica Vitti? Oder: Sollte ich mir auch ein weißes Duschradio von Sony mit hellblauem Bügel anschaffen, wie es im Badezimmer von Julia Knolle steht? Oder: Warum gibt es in unserem Badezimmer nicht etwas Ähnliches wie die kleine Qualle („aus dem Sea-Life Center in Berlin“), die im Badezimmer von Kaori Kuniyasu an einer Wand baumelt und angeblich „ein Gefühl von Ruhe und Zufriedenheit“ verleiht?

 

 

 

Literarische Ohrwürmer

Literarische Ohrwürmer melden sich, wenn ein kleines Detail der Umgebung sie urplötzlich weckt und erinnert. Man hat sie seit ewigen Zeiten im Kopf, dort schlummern sie und warten darauf, erneut rezitiert  oder deklamiert zu werden. Ja, sie wollen heraus, in die frische Luft, sie wollen gesprochen (und vielleicht sogar inszeniert) sein.

Während eines Spaziergangs erscheint derart plötzlich und zufällig das Bildmotiv der „hohlen Gasse“. Und sekunden-, blitzschnell regt sich die Erinnerung und der Ohrwurm aus Friedrich Schillers Wilhelm Tell (Vierter Aufzug, dritte Szene). Es spricht Wilhelm Tell:

Durch diese hohle Gasse muss er kommen,/ Es führt kein andrer Weg nach Küssnacht – Hier/ Vollend ichs. – Die Gelegenheit ist günstig./ Dort der Holunderstrauch verbirgt mich ihm,/ Von dort herab kann ihn mein Pfeil erlangen,/ Des Weges Enge wehret den Verfolgern./ Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt,/ Fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen.

Der „Kracher“ dieser packenden, verhetzten und genialen Zeilen ist natürlich: Des Weges Ende wehret den Verfolgern … – zehnmal das E, zehnmal dieser nörgelnde, schärfer werdende, treibende Vokal – und außerdem nur ein offenes O. Eeeeeeee – O!

Den ganzen Tag über initiiert diese Zeile das Drama eines Lebens, laufend, als stünde der Abschuss des Pfeils wirklich unmittelbar bevor …

Die Dinge des Lebens 1

Dinge des Lebens – das sind solche Dinge, die wir immer wieder in die Hand nehmen und jahrelang benutzen. Während ihres fast täglichen Gebrauchs bilden sie schließlich einen nicht unbedeutenden Teil unseres Treibens, obwohl wir sie oft kaum bemerken. Sie wachsen mit uns zusammen, zeigen schon bald Spuren dieses Kontakts und begleiten uns durch die Jahre, bis wir sie irgendwo ablegen und uns von ihnen trennen.

Beim Abschiednehmen könnte man solche Dinge des Lebens fotografieren und auf diese Weise eine Spurensammlung unserer Biografie anlegen. Der Fotograf Claus Goedicke hat das in einem schönen Buch (Dinge. Schirmer/Mosel 2017) getan. Er zeigt einen einzelnen Bleistift, eine Blockflöte, ein Fieberthermometer, ein Glas Wasser und vieles andere mehr. All diese Dinge wirken ernst und verschlossen, als brüteten sie über ihre Vergangenheit. Sie haben eine ganz eigene Würde und erscheinen so autark, als hätten sie sich zu großen Teilen längst von uns gelöst und ihre eigene Biografie geschrieben.

Ein Ding meines Lebens ist das Mäppchen mit den zwei Pelikanfüllern, die ich seit der Schulzeit benutze. Einer der beiden Füller ist mit schwarzer, der andere mit blauer Tinte gefüllt. Tägliche Notizen schreibe ich nicht mit ihnen, wohl aber längere Texte, Briefe oder Karten. Im alten Mäppchen wirken sie wie Zwillinge oder wie zwei treue Gesellen – und wahrhaftig, sie haben mich in all den Jahrzehnten noch nie enttäuscht oder im Stich gelassen. Deshalb denke ich auch nicht daran, von ihnen Abschied zu nehmen. Nein, sie werden mich weiter begleiten, so lange, bis sie meiner überdrüssig geworden sind.

Die Mütze

Bei diesen extremen Temperaturen trage sogar ich (der ich sonst nie Mützen, geschweige denn Hüte trage) ausnahmsweise einmal …: eine Mütze! Es ist eine Martin-Heidegger-Feldweg-Gedächtnismütze mit Todtnauberg-Muster!

(Näheres unter: Thomas Bernhard: Die Mütze. Gelesen von William Mang (CD); Martin Heidegger: Der Feldweg. Vittorio Klostermann 2016; Adam Sharr: Heidegger´s Hut (Englisch). Mit Pr 2006;  Alfons Schäfer: Geschichte des Dorfes Todtnauberg. Gemeinde Todtnauberg 1966; Schwarzwald-Wanderkarte für das Gebiet Schönau – Todtnau – Todtnauberg – Muggenbrunn – Feldberg. Franke & Meyer 1956)

Anekdoten (nach Heinrich von Kleist) 4

Ein bekannter Schweizer Schriftsteller war vor seiner erfolgreichen Schriftstellerkarriere als Werbetexter tätig. In dieser Branche hatte er sich bereits erheblichen Ruhm durch einen Text für ein Bankinstitut erworben, den viele Schweizer auswendig kannten: „Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten. Sie arbeiten schließlich auch für Ihr Geld.“ Nach der Veröffentlichung dieses markanten Zweisätzers kursierten schon bald in der ganzen Schweiz Varianten, die in den Medien diskutiert und weiter variiert wurden. So gab es die Variante: „Arbeiten Sie nur für Ihr Geld. Schließlich arbeitet auch die Bank nur für sich.“ Oder: „Arbeiten Sie nicht für Geld. Es arbeitet ja auch nicht für Sie.“

Als Schriftsteller versuchte der allmählich bekannter werdende Mann seinen Werbetext durch Romane und Erzählungen zu vergessen, die noch weitaus brillantere Sätze enthalten sollten. Während dieser Arbeit verfolgten ihn aber weiterhin sein berühmter Werbetext und die unzähligen Varianten, die es davon gab. Nachts gingen sie ihm durch den Kopf und verhöhnten sein Schreiben, indem sie den Anschein erweckten, sämtliche Romane und Erzählungen erreichten nicht das Niveau des aus zwei brillanten Sätzen bestehenden Werbetextes. Der trotz dieser Störungen immer berühmter werdende Schriftsteller tat so, als hätte er längst keine Erinnerung mehr an diese Texte, während sie ihm in Wahrheit immer heftiger zusetzten.

Auf der Höhe seines Weltruhms (er war gerade siebzig Jahre alt geworden) wollte er eine Rede in mehreren Sprachen (als Rückblick auf sein schriftstellerisches Schaffen) halten. Er begann stockend und verlor gleich den Faden, während das Publikum irritiert auf seine ersten Sätze wartete. Mit gesenktem Kopf fand der längst auf der ganzen Erde gefeierte Mann endlich hinein in seine Rede und begann: „Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten. Sie arbeiten schließlich auch für Ihr Geld.“ Dies, sagte er weiter, sei der Ursatz all seines Schreibens gewesen, und all seine Romane und Erzählungen seien letztlich nichts anderes als Varianten dieser beiden Sätze. Worauf er (endlich befreit wirkend) weiter ausholte und seinen verblüfften Zuhörern aus Anlass seines runden Geburtstages Hunderte von Varianten vorstellte, die er in seinen schlaflosen Nächten erfunden und erweitert hatte. Die Rede dauerte Stunden und endete erst, als alle Zuhörer sich vor ihrem Ende aus dem Staub gemacht hatten, um statt des weiteren Zuhörens ihr Geld noch begeisterter und raffinierter für sich arbeiten zu lassen.

Backstage

Leserin: Haben Sie dieses Foto gemacht? – Ortheil: Ja, gestern Abend, im Backstage-Bereich meiner Lesung in Mannheim. – L.: Es sieht aus wie ein Bühnenbild! – O.: Ja, genau das dachte ich auch. Das ist Bühne, große Bühne, sechziger oder siebziger Jahre, eine Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus. So sahen damals die Inszenierungen aus. – L.: Und welches Stück, welcher Autor? – O.: Ich dachte sofort an Harold Pinter, dessen Stücke damals sehr oft gespielt wurden. Stücke wie Der Hausmeister. Zu Beginn ist die Bühne leer, und die Zuschauer starren nur auf dieses Möbel-Ensemble. Couchgarnitur mit Kissen, Tisch, Blumen, den Kühlschrank – und die Uhr. Die Uhr ist sehr wichtig. Erst nach einer Weile betritt der erste Schauspieler die Szene. Ein Mann in den Jahren. Er geht langsam auf den Kühlschrank zu, öffnet ihn und schnappt sich ein Bier. – L.: Es könnte aber auch ein Filmset sein, so wie das Licht geführt ist! – O.: Stimmt, könnte auch. Ein britischer oder amerikanischer Film, mit Michael Caine oder einem anderen dieser Schlitzohren, die damals in solchen Filmen gespielt haben. – L.: Großes Kino! – O.: Ja, richtig großes Kino. Habe ich damals sehr gerne gesehen: Michael Caine, Donald Sutherland … – L.: Und nun saßen Sie gestern Abend selbst in diesem Filmset. Was haben Sie getan? – O.: Nichts. Ich habe mich nicht getraut, in diesem perfekt ausgeleuchteten Set Platz zu nehmen, ich habe mich an den Rand gesetzt und das Bild angestarrt. – L.: Und weiter? – O.: Ich habe mein eigenes Stück geschrieben, im Kopf, es ging sofort los. – L.: Hatten Sie gleich einen Titel? – O.: Ja, sofort: Backstage. – L.: Und was passierte dann? – O.: Ich wartete, bis mein Bühnenauftritt bevorstand. Ich wurde langsam zu meiner eigenen Bühnenfigur. – L.: Und auf der Bühne haben Sie einen Ausschnitt aus ihrem neuen, gerade im Kopf entstandenen Stück gespielt? – O.: Das wäre perfekt gewesen. Soweit bin ich aber noch nicht. Irgendwann vielleicht. Momentan noch nicht. – L.: Und was haben Sie stattdessen getan? – O.: Ich habe „Ja“ gesagt! – L.: „Ja“? Einfach so? – O.: Genau, ich beginne all meine Lesungen mit einem „Ja“, es ist idiotisch, aber es ist so. Ohne dieses „Ja“ kann ich nicht loslegen. – L.: Interessant. Haben Sie darüber einmal mit einer Psychoanalytikerin gesprochen? – O.: Nein. – L.: Sollten Sie aber, so ein „Ja“ sagt viel aus. – O.: Glauben Sie? – L.: Unbedingt. Ihr „Ja“ ist ein Bühnen-Ja, ihre Zustimmung zur Bühne! – O.: In Ordnung. Meine Zustimmung zur Bühne. Leider noch ohne Stück, nur improvisiert. Kein Backstage, sondern Der Autor auf der Bühne, lesend, erzählend. – L.: Auch das kann sehr schön sein. – O.: Kann. „Ja“.

Sonnenkältestillstand

Ludwig Ries leitet die Messstation des Umweltbundesamtes in 2650 Meter Höhe auf der Zugspitze. Bei Minus 27 Grad schaut er aus seinem Schneefernerhaus in die sonnenbestrahlte Ferne und öffnet trotz der Kälte manchmal das Fenster, um etwas frische Bergluft herein zu lassen und den Sonnenkältestillstand der eingefrorenen Welten ringsum zu genießen (SZ vom 27. Februar 2018). Ludwig Ries rät uns Talbewohnern, keine dicken (und meist schlecht isolierten) Jacken, sondern mehrere dünne übereinander zu tragen: „Durch die Luft, die sich zwischen den jeweiligen Schichten sammelt, ist man stärker gegen die Kälte isoliert.“

Wir wiederum empfehlen Ludwig Ries die vor kurzem von Víkingur Ólafsson eingespielten Piano works (Deutsche Grammophon) von Philip Glass. Das erste Stück (Opening) ist eine ideale Begleitmusik während der Fahrt mit der Zugspitzzahnradbahn hinauf zum Gipfel – und die weiteren Titel sind reinste Sonnenkältestillstandsmusik (mit viel isolierender Luft zwischen den emotional-tonalen Erlebnisschichten der rechten und linken Hand).

Aufzeichnungsmethoden – das Commonplace Book

Einige meiner regelmäßigen Aufzeichnungsmethoden habe ich schon in diesem Blog vorgestellt: 1) Chronikblätter (Format DIN A3 oder DINA4), auf die ich Zeitungsausschnitte (Artikel, Fotos etc.) klebe und mit kurzen Kommentaren versehe, 2) Fotostrecken (Format DIN A4), mit deren Hilfe ich Spaziergänge, Stadtwanderungen, Reisen festhalte, 3) Umschreibungen, durch die ich auf kurze Zeitungsberichte reagiere, um aus der journalistischen Nachricht oder Meldung einen literarischen Text (zum Beispiel: Anekdoten im Ton Heinrich von Kleists) zu formen.

Eine weitere Aufzeichnungsmethode ist das Commonplace Book (keine einzelnen Blätter, sondern ein Heft, nur auf der rechten Seite beschrieben, auf der linken erscheinen Ausschnitte aus Zeitungen und Zeitschriften). In ihm notiere ich in Kurz- oder Notatform eine Art Stream von beliebigen Zitaten, Fundstücken oder Gedanken, die ohne eine solche Fixierung verloren gehen würden und bald vergessen wären. Solche Notatbücher gibt es (vor allem im britischen Raum) schon seit Jahrhunderten. Sie dienten zunächst der Wissenssammlung, dann öffnete sich das Genre, und man sammelte nicht ausschließlich Zitate und Überlegungen zu einem bestimmten Thema, sondern all das krude Gedankenmaterial, das einem Autor  gerade durch den Kopf ging. Im Deutschen ist Georg Christoph Lichtenberg (mit seinen Sudelbüchern) der Meister des Genres, im Italienischen Giacomo Leopardi, dessen Zibaldone sogar in einer Faksimileausgabe erhältlich ist (so dass man sich am unermüdlichen Sog seiner handschriftlichen Aufzeichnungen berauschen kann).

Unten sind zwei Seiten aus einem meiner Commonplace Books (Januar 2018) abgebildet. Die Aufzeichnungen beziehen sich auf ein Interview mit dem Architekten Rem Kohlhaas, in dem er den Heimatbegriff diskutiert und den Begriff einer „Generic City“ ins Spiel bringt. Daneben geht es noch um Trends der Fashionszene in Berlin (Streetstyle), auf die mich eine kurze Bemerkung in der SZ aufmerksam gemacht hat.