Ein frohes Fest 2!

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich ein frohes Fest, heute verbunden mit dem Weihnachtskonzert von Arcangelo Corelli (1653-1713), dem Concerto grosso in g-moll, op.6 Nr.8…

Corellis bevorzugter Lebensraum war das alte Rom, wo er in vielen stadtbekannten Adelsfamilien als Violinist, Konzertmeister und Komponist wirkte.

Ein frohes Fest!

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest, verbunden mit In the bleak midwinter…

Den Text des Gedichts schrieb die britische Dichterin Christina Rossetti (1830-1894), vertont wurde es von Gustav Holst (1874-1934).

Geschenkbücher zu Weihnachten 5 – Kochbücher 2

Elisabeth Bronfen ist Kulturwissenschaftlerin und hat Bücher zum Beispiel über die schöne (weibliche) Leiche, die Kulturgeschichte der Nacht oder die Figur der Diva geschrieben. Ein ganz besonderes Buch, in dem ich (wie im Kochbuch von Marcella Hazan) oft lese, sind ihre „Kochmemoiren“ mit dem aufflammenden Titel: Besessen.

Das strahlende Wort gibt die Richtung vor, denn Elisabeth Bronfen kocht (wenn möglich) täglich – und das stets neu, mit experimentellem Spürsinn, die Märkte in der Nachbarschaft mit den Lagerstatten ihrer Küche und deren Einrichtung verbindend.

Die Pfanne/Vorrätig/Der Topf/ Der Ofen oder Für sich kochen – das sind folglich unkonventionelle Überschriften der Kapitel, deren Rezepte alles andere als phlegmatische Aneinanderreihungen von Zutaten und Mengenangaben sind. Elisabeth Bronfen erzählt nämlich die Gerichte so, dass auch Ausflüge in Beobachtungen zu Küchen- und Kochtraditionen der unterschiedlichsten Kulturen an den Wegrändern erscheinen.

So durchwandert man an der Seite dieser besessenen Köchin nicht nur die Stationen ihres Kochens, sondern auch die ihrer sonstigen Themen. Dann heißt es: „Bœuf Stroganoff gehörte zu den Lieblingsgerichten von Marlene Dietrich, und weil meine Mutter eine grosse Verehrerin der Filmdiva war, liebte auch sie diese Speise…“ Oder – mein absoluter Lieblingssatz: „Am liebsten würde ich alles, was sich hacken, reiben, raspeln oder pürieren lässt, zu einem runden oder flachen Burger formen und anschliessend in der Pfanne braten…“

Ja, rufe ich, ja, unbedingt, ausprobieren – den japanisch inspirierten Burger oder die italienische Variante oder den orientalischen … – damit könnte man schon einmal einen Anfang machen.

Ach, fast jede Seite von Elisabeth Bronfens Buch könnte ich zitieren, jede ist frisch, lebendig, originell und steckt voller Überraschungen, als Leser gerät man in ein immerwährendes Träumen, in dessen Kabinetten sich Elisabeth Bronfen als Zaubermeisterin bewegt. Man möchte ihr zur Seite stehen und zur Hand gehen, man möchte einige Gläser mit ihr trinken, während die Speisen sich auf dem Herd hin und her bewegen und ihre Leidenschaft für das Kochen kein Ende nehmen will.

Die Verbindung zu Marcella Hazans Buch ist übrigens auch gegenwärtig, auf Seite 121, wo es heißt: „Marcella Hazan, mein Vorbild für die klassische italienische Küche, gibt in ihren Büchern immer wieder Anweisungen dafür, wie Spinat, Mangold oder auch Karotten zuerst blanchiert und anschliessend in der Pfanne glasiert werden…“

Blanchieren, glasieren, temperieren, mumifizieren, inhalieren – die Küche Elisabeth Bronfens erscheint wie eine fabelhafte Ideenwerkstatt, in der das Kochen die amalgamierende Tätigkeit für das vitale Leben ist. Kein bloßes „Kochbuch“, nein, ein Buch des Lebens ist „Besessen“.

Elisabeth Bronfen: Besessen. Meine Kochmemoiren. Echtzeit Verlag Basel

Geschenkbücher zu Weihnachten 4 – Kochbücher 1

Meine vorletzten Buchempfehlungen vor Weihnachten (heute und morgen) gelten zwei umfangreichen Kochbüchern. Aus guten Gründen habe ich solche Bücher, wenn sie von sogenannten „Spitzenköchen“ verfasst wurden, in diesem Blog bisher nicht vorgestellt. (Sie bedürfen nicht meiner Empfehlungen, und man kann sich leicht selbst ein Bild oder eine Vorstellung davon machen.)

In zwei Büchern jedoch haben ich in den letzten Jahren immer wieder gelesen – nicht, weil ich gut kochen würde (ich koche fast gar nicht, sondern bin lediglich eine Hilfskraft, wenn andere kochen), sondern weil es keine bloßen Rezeptbücher sind, sondern weit gespannte Erzählungen vom Aufbau einer Küche, den Grundlagen guten Kochens und den individuellen Einsichten in die Vor- und Nachteile bestimmter Kochverfahren.

Marcella Hazans Kochbuch ist ein hinreißend kluges Buch über die klassische italienische Küche, ich kenne nichts Besseres. 1923 in der Emilia Romagna geboren, hat diese Autorin sich das italienische Kochen zunächst in New York beigebracht, weil sie während ihrer Studien und Aufenthalte dort darauf angewiesen war, ihre Liebsten selbst zu versorgen. Schon bald unterrichtete sie viele Schülerinnen und Schüler und veröffentlichte ihr erstes Kochbuch zunächst in englischer Sprache. Inzwischen ist es in fünfter Auflage und in sehr guter, noblerAusstattung beim Echtzeit Verlag in Basel erschienen.

In ihrer Einleitung (Wege zum Verständnis der italienischen Küche) schreibt Marcella Hazan: „Die Speisen, ob einfach oder kompliziert, werden im Familienstil zubereitet. Es gibt keine italienische Haute Cuisine, weil es keinen niederen und keinen Königsweg zur italienischen Küche gibt. Alle Wege führen ins Haus, führen zur cucina della casa – der einzigen, die den Namen italienische Küche verdient.“

Damit ist eigentlich schon alles gesagt und das kulturelle Verständnis benannt, das Marcella Hazan beim Kochen leitet. Es folgen lauter grundlegende Kapitel, in einer literarischen, essayistischen Diktion: Die Quellen des guten Geschmacks/ Die Zutaten von A bis Z/ Küchengeräte.

Danach geht es um die kalten und warmen Vorspeisen, die Suppen, die Saucen und und und…., bis hin zu dem legendären Schlußkapitel: Die italienische Kunst des Essens. Ich zitiere ein letztes Mal: „Eine italienische Mahlzeit ist eine lebendige Abfolge von Eindrücken. Knackiges wechselt sich mit Weichem und Nachgiebigem ab, Pikantes mit Zartem und Feines mit Einfachem…In ihrer Zusammensetzung hat eine vollständige italienische Mahlzeit ähnliche Grundmuster wie eine zivilisierte Gesellschaft: Kein Gericht erdrückt das andere, weder was die Menge noch die Aromen betrifft, jedes lässt den Augen und dem Gaumen Raum für neue Reize…“

Marcella Hazan: Die klassische italienische Küche. 450 Rezepte. Mit einem Vorwort von Christian Seiler. Ins Deutsche übertragen von Cornell Ehrhardt, Angelika Feilhauer und Lexa Katrin Gräfin von Nostitz. Überarbeitet und aktualisiert vom Echtzeit Verlag. Echtzeit Verlag Basel

Robert Walsers Winter

„Es gibt in Robert Walsers Schreiben eine dunkle Lust, die Welt als eine ‚Welt von Schnee‘ zu begreifen, ja, die Welt in toto „zu Schnee“ zu erklären. Diese Lust ist einer der heimlichen Fluchtpunkte, denen Walsers Werk folgt…“, heißt es im Nachwort zu der Walser-Anthologie Tiefer Winter. Geschichten von der Weihnacht und vom Schneien (hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Margit Gigerl, Livia Knüsel und Reto Sorg), die als schmales Insel-Taschenbuch erschienen ist.

Man kann es bei winterlichen Spaziergängen gut mitführen, um darin hier und da ein paar Seiten zu lesen: Gedichte, Geschichten und Prosastücke von Schneelandschaften, Wintersonne (wie heute!) und Weihnachtlichem.

Das Schöne an solchen Geschichten ist, dass sie die Schneewelten nicht mit Bedeutung aufladen, sondern sie Schneewelten sein lassen. Sie wirken wie hingetupft und durchspaziert, luftig und detailreich zu erkennen, mit weiten Himmelchen. Walser schreibt, als dächte er ununterbrochen darüber nach, seine Sätze zumindest zur Hälfte gleich wieder zurückzunehmen, aber dann geht er doch weiter und weiter, bis sich seine Spuren durch die Schneezonen gegraben haben.

 

Till Brönners Christmas

Nur noch wenige Tage bis Weihnachten – die festlichen Melodien kommen näher und setzen sich in unseren Räumen fest, zögerlich noch, aber immer bestimmter.

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs

wünsche ich, verbunden mit Till Brönners neuem Album Christmas, das er zusammen mit dem Pianisten Frank Chastenier und dem Bassisten Christian von Kaphengst eingespielt hat,

einen erwartungsvollen vierten Advent!

 

Geschenkbücher zu Weihnachten 3 – Japan

Wie die Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen, interessiere ich mich seit langem für die japanische Kultur: Literatur, Kunst, Film, Fotografie, Theater – einfach alles. Nach wie vor denke ich daran, einmal nach Japan zu reisen, um meine Fantasien mit den dortigen Lebenswirklichkeiten zu konfrontieren. Wegen der Pandemie habe ich dieses Vorhaben immer wieder verschieben müssen.

Anders jedoch Christoph Peters. Er ist ein exzellenter Kenner japanischer Kultur und hat das auch in seinem Fall lang gehegte Vorhaben einer Japanreise realisiert. Dabei ist ein Buch entstanden, das ausführlich von den eigenen Erwartungen und Reflexionen erzählt und sie in vielen subtil beobachteten Szenen auf Realia von Personen, Straßen und Dingen treffen lässt. Man wird von Peters nicht belehrt, sondern geführt, man begleitet ihn, teilt seine Ideen und Fantasien und verlässt den Raum von Tokio neugierig und gespannt: Wann werde ich ihn endlich (so wie Peters) zu sehen bekommen und wie werde ich mich dort verhalten?

Christoph Peters: Tage in Tokio. Mit Zeichnungen von Matthias Beckmann. Luchterhand-Verlag

Anders als Christoph Peters ist der Schriftsteller Cees Nooteboom häufig nach Japan gereist und hat sich dort wechselnden Stationen und Themen gewidmet. Seine Japaneindrücke liegen jetzt gesammelt in einem Band vor und erlauben eine Lektüre, die ein weites Panorama eröffnet.

Cees Nooteboom: Endlose Kreise. Reisen in Japan. Mit Photographien von Simone Sassen. Übersetzt von Helga von Breuningen. Schirmer Mosel

Eines meiner Lieblingsbücher ist ein Werk des japanischen Dichters Saigyô (1118-1190). Seine Gedichte aus der Bergklause hat der Japanologe Ekkehard May nicht nur übersetzt, sondern mit vielen erhellenden Kommentaren versehen. Ohne diese Erläuterungen bleiben sie europäischen Leserinnen und Lesern kaum verständlich. Jetzt aber leuchten sie und wirken, gerade angesichts unserer Rückzugsmomente in kleine, übersichtliche und geschützte Räume, fast irritierend aktuell:

Ach, gäb´s noch einen,

der Einsamkeit genauso

ertragen könnt wie ich!

Hütten bauten wir Seit an Seit

im winterlichen Bergdorf

Saigyô: Gedichte aus der Bergklause. Sankashû. Ausgewählt und übersetzt, mit Kommentaren und Annotationen von Ekkehard May. DVB Mainz

Geschenkbücher zu Weihnachten 2 – Venedig

Venedig nur ein einziges Mal zu besuchen – das haben viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller nicht ertragen. Viele sind immer wieder in die Lagunenstadt gereist und haben die Kulturen Venedigs stückweise zu Momenten ihrer eigenen Lebensformen gemacht. Diese Venedig-Begeisterten interessieren mich seit langem, und ich empfehle ihre Venedig-Bücher besonders nachdrücklich.

Vor kurzem erschienen sind die gesammelten Venedig-Essays von Cees Nooteboom. Verfolgen kann man anhand dieser Beispiele, wie unterschiedlich und jeweils neu Nootebooms Venedig-Emphasen verlaufen sind: Worauf hat er sich bei seinen wechselnden Aufenthalten jeweils konzenriert, mit wem war er unterwegs, wie gestaltete sich die Gefühlspalette der Eindrücke? Hier genau zu verfolgen:

Cees Nooteboom: Venedig. Der Löwe, die Stadt und das Wasser. Aus dem Niederländischen von Helga von Breuningen. Suhrkamp Verlag

Einer der herausragendsten Venedig-Liebhaber des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts war der amerikanische Schriftsteller Henry James (1843-1916), der lange in Venedig gelebt hat. Dort sind nicht nur seine glänzenden Essays und Porträts der Stadt entstanden, sondern auch Erzählungen und Romane, die in Venedig spielen.

Ich habe ihn während seiner Aufenthalte begleitet und seine Essays durch meine Kommentare und Eindrücke miteinander verbunden. Und zwar hier:

Henry James: In Venedig. Begleitet von Hanns-Josef Ortheil. (Übersetzungen von Helmut Moysich). Dieterich´sche Verlagsbuchhandlung Mainz

Auch der Schriftsteller Philippe Monnier (1864-1911) war lange Zeit in Venedig unterwegs – nicht, um als Reiseschriftsteller die Stadt zu erkunden, sondern um vor Ort und in ihren Archiven nach dem zu fahnden, was man „die venezianische Mentalität“ nennen könnte. In keinem Buch ist sie besser und eleganter eingefangen als in seiner großen Erzählung von den letzten Jahrzehnten des alten Venedig. Dazu habe ich ein Nachwort geschrieben. Alles findet man hier:

Philippe Monnier: Venedig im achtzehnten Jahrhundert. Nachwort von Hanns-Josef Ortheil. Die Andere Bibliothek

Diese wunderbaren Venedig-Lektüren sollte man nicht ohne Steigerungen durch weitere sinnliche Genussformen erleben. Das Cicchettario der venezianischen Köchin Alessandra de Respinis ist gerade in einer neuen, stark erweiterten Auflage erschienen. Dort erfährt man die früheren Geheimrezepte der Wirtin aus dem Al Bottegon, gefeiert und erläutert von einem deutschen Schriftsteller, der sich in dieser Weinstube unzählige Male aufgehalten und dort ein ein Glas Wein, begleitet von den besten Cicchetti der Stadt, getrunken und gegessen hat. Wie man sie zu Hause nachzaubert, ist hier zu erfahren:

Alessandra de Respinis: Cicchettario. Die legendären Rezepte des Al Bottegon in Venedig. Übersetzt von Lotta Ortheil. Nachwort von Hanns-Josef Ortheil. Dieterich´sche Verlagsbuchhandlung Mainz

Allein

(Am 14.12.2021 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)

„Allein“, „Einzeln sein“, „Für sich sein“, „Die neue Einsamkeit“ – das sind nicht zufällig Titel von gegenwärtig viel gelesenen Sachbüchern. Sie stellen Diagnosen der Pandemie, die das Innenleben unserer Gesellschaft ausleuchten und jene sich deutlich herausbildenden Lebensformen beschreiben, die auch ich in meinem Freundeskreis beim Blick auf die verschiedensten sozialen Schichten und Altersstufen beobachten kann. In den öffentlichen Debatten treten sie meist hinter den lautstark diskutierten Themen wie Impfpflicht, Inzidenzen, Hospitalisierung zurück, weil sie eher leise und oft auch nur scheu behandelt werden.

Die regelmäßig über das Land hereinbrechenden Pandemiewellen rütteln immer von neuem und immer mächtiger an den alten, vertrauten Lebensbezügen. Sie bewirken nicht mehr nachlassende, tief sitzende Irritationen, die zum Rückzug führen. Der große Reichtum von Erlebnissen und Eindrücken schrumpft zusammen, viele Menschen bewegen sich nur noch in kleinen Kreisen, reduzieren den Umgang mit Freunden und halten sich lange Zeiten in Räumen auf, die den Charakter von Verstecken annehmen.

Das führt oft zu einer psychischen Isolation, die hinter den lustlos absolvierten täglichen Pflichten gefährlich lauert. Sie tritt nicht offen zutage, hinterlässt aber deutliche Spuren. Die immergleichen Nachrichten machen das Erzählen mundtot, sie reduzieren es auf ein Berichten und Sortieren von Meinungen zu den alles beherrschenden Daten und Fakten. Langsam zieht eine sich dadurch einstellende Stummheit in die Beziehungen ein, sie trennt Paare und Freunde und wirft die Einzelnen auf sich selbst zurück.

Manche reagieren panisch mit kurzfristigen Entscheidungen für neue Lebensformen, sie ziehen um, kündigen den Job oder suchen einen Halt bei Therapeuten der unterschiedlichsten Art. Dabei verlieren sie immer mehr das Vertrauen in die Zukunft. Geht es ganz verloren, stellen sich Depressionen ein, die das isolierte Leben noch stärker verdunkeln.

Dass lebensstimulierende Künste wie etwa Schauspiel oder Musik gegenwärtig nur noch sehr reduziert möglich sind, ist besonders fatal. In den alten Zeiten haben sie viele Begeisterungsfähige zusammengeführt, die sich zwar nicht von vornherein nahe waren, aber stets neugierig und oft geradezu hingerissen an überraschenden Darbietungen teilnahmen. Sie vermittelten Vitalität und wirkten lange nach. Ihre Blockade ist auch deshalb so katastrophal, weil sie den dringend notwendigen Sauerstoff für ein sich regenerierendes Leben lieferten.

Bald werden die versteckten Krankheitssymptome sich auch in öffentlich werdenden Zahlen niederschlagen. In England haben die Nachforschungen zu Themen wie Einsamkeit und Isolation vor einiger Zeit sogar zur Bildung eines damit beschäftigen Ministeriums geführt. Solche Warnsignale sollte die neue Regierung auch im Auge behalten. Möglich wären zum Beispiel Anstrengungen, durch die Abteilungen des Gesundheits- und Familienministeriums  im Zusammenspiel Hilfsangebote entwickeln und strukturieren. Sie müssten mit Institutionen abgestimmt werden, die in der Betreuung von psychisch gefährdeten Menschen Erfahrung haben und Lebensgeschichten zu deuten verstehen.

Karl Lauterbach sollte also nicht nur die neusten Omikron-Studien lesen und darauf reagieren, sondern sich auch an Themen wagen, deren Behandlung eine besondere, neue Art von staatlichem „Fortschritt“ markieren würde. Ihm wäre zu wünschen, dass er die bedrohlichen Szenen ernst nimmt und auch darüber spricht. Vielleicht kann er sogar eigene Erfahrungen beisteuern, das würde seinen Überlegungen besondere Dringlichkeit verleihen. Schüchterne Ansätze dazu hat er bereits vor einiger Zeit gemacht. Als Minister könnte er mutiger werden.