Ortheil liest 5

Meine Online-Lesung aus den Italienischen Momenten findet als literarisch-musikalische Abendmusik 6 morgen, Sonntag, 31.01.2021, 18 Uhr, im Kulturwerk von Wissen/Sieg statt. (Den Ablaufplan dieses Abends finden Sie nun hier exklusiv, damit Sie die einzelnen Nummern verfolgen oder auch nachhören können!)

Tickets für den Live-Stream sind zum Preis von 12 Euro erhältlich bei allen Reservix-Vorverkaufsstellen (soweit geöffnet!) und im Internet unter kulturwerk-live.de.
Bis eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn kann eine Karte gekauft werden, ein später Kauf muss jedoch mit Direktüberweisung oder Kreditkarte gezahlt werden. Der aufgedruckte Ticket-Code ermöglicht einen Abruf der Lesung innerhalb von 72 Stunden (Zugang ebenfalls über www.kulturwerk-live.de). Ein nachträglicher Erwerb ist nicht möglich.

Bei Fragen hilft der buchladen Wissen weiter (Tel. 02742 1874, bis Samstag, 30. Januar, 13 Uhr).

Ablaufplan 

  1. Einleitung: Italienische Momente/ Geschichte/ Szenen/ Rituale/
  2. Rom/ Roma 1: Römische Momente (Lesung aus „Italienische Momente“, S.82ff.)
  1. Video 1 – Gli amanti di Roma (Gianmaria Testa)

https://www.youtube.com/watch?v=RoA6aQoz52M

  1. Rom/ Roma 2: Römische Momente (Lesung aus „Italienische Momente“, S.71ff./ S. 82ff.)
  1. Video 2 – Jonas Kaufmann: E lucevan le stelle („Tosca“ von Giacomo Puccini)

https://www.youtube.com/watch?v=Q-GstSdvvs8

  1. Venedig/ Venezia 1: Venezianische Momente (Lesung aus „Italienische Momente“, S. 144ff.)
  1. Video 3: Donna Leon: Gondola. Geschichten Bilder Lieder

 https://www.youtube.com/watch?v=B-STQtPaAXo

 (Vincenzo Capezzuto/Ivano Zanenghi chitarra romantica)

  1. Venedig/Venezia 2: Venezianische Momente (Lesung aus „Italienische Momente“, S. 155ff.)
  1. Video 4: Felix Mendelssohn-Bartholdy: Venetianisches Gondellied – Aus den „Liedern ohne Worte“, op. 30, Nr. 6 (Daniel Barenboim)

https://www.youtube.com/watch?v=Re-eu9q_yUU

  1. Sizilien/ Sicilia 1: Sizilianische Momente (Lesung aus „Italienische Momente“, S. 242ff.)
  1. Video 5: Rosa Balistreri: „Mirrina“

https://www.youtube.com/watch?v=zX7NV585Pu8

  1. Sizilien/ Sicilia 2: Sizilianische Momente (Lesung aus „Italienische Momente“, S. 253ff.)
  1. Video 6 – Etta Scollo & Ensemble: „Sicilia mia“

https://www.youtube.com/watch?v=HQieg30_g6Q

  1. Adriatisches Meer/ Mare adriatico 1: Meeresmomente 1 (Lesung aus „Italienische Momente“, S. 275ff.)
  1. Video 7 – Paolo Conte „Azzurro“

https://www.youtube.com/watch?v=pQhK0BJZbqY

  1. Adriatisches Meer/ Mare adriatico 2: Meeresmomente 2 (Lesung aus „Italienische Momente“, S. 282ff.)
  1. Video 8 – Angelo Branduardi „La Pulce d’Acqua“

https://www.youtube.com/watch?v=ERukWHAkBIw

  1. Verabschiedung – Dank – Wo es signierte Exemplare gibt

 Mein Dank gilt dem Land Rheinland-Pfalz, dem Kreis Altenkirchen, der Stadt Wissen, den Mitarbeitern des Kulturwerks Wissen/Sieg (Timo Fiebach und Dominik Weitershagen) sowie Maria Bastian-Erll, der Veranstalterin dieses Abends vom „buchladen Wissen“!

 Signierte Exemplare der „Italienischen Momente“ erhalten Sie exklusiv über den „buchladen Wissen“ (Tel. 02742-1874)/ buchladenwissen@web.de

Italienische Woche 3

Gestern hat Karen Krüger in der FAZ einen großen Artikel mit dem Titel Die Uffizien zum Essen veröffentlicht. Sie beginnt mit Beobachtungen über den Stellenwert des Essens in Italien und berichtet davon, dass die Menschen dort nichts glücklicher mache als der Austausch über ihre Mahlzeiten: „Gespräche über das Aroma eines Risottos oder den passenden Wein haben den gleichen Stellenwert wie das Debattieren über Fußball oder Politik. Vergangene oder bevorstehende Mahlzeiten und die Art ihrer Zubereitung sind Thema auf den Fluren der Bürogebäude, in Konferenzpausen, am politischen Verhandlungstisch und bei Treffen mit Freunden und der Familie.“ Und weiter, zusammenfassend: „In Italien fragt man nicht: Was hast du am Wochenende gemacht?, sondern: Was hast du am Wochenende gegessen?“

Solche Beobachtungen habe auch ich während meiner vielen Italien-Aufenthalte gemacht. Es lohnt sich daher sehr, einmal darüber nachzudenken, warum das Kochen und die Küche in diesem Land eine so bedeutende Rolle spielen und wie sich diese Wertschätzung im Kochen selbst niederschlägt. (Das werde ich anhand eines Kochbuch-Beispiels in der nächsten Woche einmal tun.)

Ausgehend von diesen Überlegungen, erzählt Karen Krüger in der FAZ dann von einem Projekt des Direktors der Florentiner Uffizien (Eike Schmidt). Er kam auf die wunderbare und (in Italien!) naheliegende Idee, Bilder des Museums, auf denen Speisen oder ihre Zutaten dargestellt sind, einigen Köchinnen und Köchen in der Umgebung als Inspiration für die Erfindung bestimmter Gerichte zu empfehlen.

Das musste man ihnen nicht zweimal sagen. Und so findet man auf dem Facebook-Kanal der Uffizien nun jede Woche ein Bild und die Erzählung einer Köchin oder eines Kochs, die Bildmotive in eine Mahlzeit verwandeln (Uffizidamangiare).

Seit Sonntag erläutert Dario Cecchini, der „berühmteste Metzger Italiens“ (er besitzt zwei Ristoranti), mit dem Blick auf Jacopo Chimentis Gemälde Speisekammer mit Fass, Wildbret, Fleischstücken und Geschirr seine Costata fiorentina:

https://www.facebook.com/uffizigalleries/videos/446886756718471/?__so__=channel_tab&__rv__=all_videos_card

Eigenzeiten

(Heute auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)

Während eines Telefonats mit meinem Freund Felix stutzte ich, als er einen Begriff benutzte, den ich lange nicht mehr gehört hatte. Er behauptete nämlich, die Zeiten der Coronapandemie seien Extremzeiten der „Ungleichzeitigkeit“. Wie bitte?! Als junger Student war ich diesem Begriff in den Schriften des Philosophen Ernst Bloch zum ersten Mal begegnet. Bloch hatte damit die unterschiedlichen Entwicklungsstufen von gesellschaftlichen Schichten bezeichnet. Der große Korpus Gesellschaft lebte ihm zufolge in ganz unterschiedlichen Zeitverhältnissen – manche Gruppen um Jahrzehnte verspätet, manche eng gebunden an die neusten Prozesse des vermeintlichen Fortschritts.

Felix verwendete den Begriff aber noch in einem anderen Sinn. Ihm fällt auf, dass die in den Pandemiezeiten neu strukturierten Arbeitsverhältnisse eine Orientierung an gemeinsamen Arbeitszeiten kaum noch zulassen. Unser Freund Ludwig zum Beispiel beginnt die Arbeit in seinem Homeoffice morgens um Sieben, arbeitet drei Stunden, geht einkaufen und kümmert sich danach um seine Tochter. Will man ihn erreichen, trifft man ihn ab zehn eine Zeitlang nicht mehr in seinem Homeoffice an. Wohl aber wieder am Mittag gegen eins. Dann aber ist Felix gerade in eine kurze Siesta abgetaucht.

Heidrun wiederum organisiert ihren Homeoffice-Betrieb in laufender Absprache mit zwei Freundinnen. Als Single hilft sie bei der Betreuung von deren Kindern, manchmal sehr früh am Morgen, manchmal am späten Nachmittag. Die  Betreuungszeiten wechseln von Tag zu Tag, Heidrun macht das aber nichts aus, sie betreibt allein eine kleine Agentur. Den Tag über ist sie im Homeoffice allerdings nur schwer erreichbar, sie meldet sich zurück, wenn sie Zeit hat. Dann aber haben ihre Ansprechpartner oft keine, so dass man über mehrere Tage hinweg häufig den Kontakt suchen muss.

Ich verstand, was Felix mit „Ungleichzeitigkeit“ meinte und steuerte einen Begriff bei, den ich ebenfalls vor vielen Jahren aufgeschnappt hatte. Die Soziologin Helga Nowotny hatte damals ein Buch über „Eigenzeit“ geschrieben. Darin hatte sie die individuellen Erlebniszeiten in Stellung gebracht gegenüber den gesellschaftlich abgerufenen und geforderten Arbeitszeiten. Kollidierten die beiden Zeitansprüche, erlebten die Einzelnen oft starke Krisen, die zu einer diffusen und gestörten Zeitwahrnehmung führten.

Die Ungleichzeitigkeit in den Arbeitsrhythmen radikalisiert in den Pandemiezeiten das Erleben der „Eigenzeit“, behauptete ich. Wir wurden fast alle neu darauf geeicht, jeden einzelnen Tag nach unseren jeweiligen Möglichkeiten zu planen und zu gestalten. Solche „Eigenzeit“ passt sich aber kaum noch an die „Eigenzeiten“ in unserer Umgebung an. Jeder lebt für sich in einem immer beengter werdenden Erlebnisraum, muss Kontakte mühsam verabreden oder gar suchen. Das aber führt zu starken Belastungen, weil unsere althergebrachten Gewohnheiten und Rituale ihre vertraute Beständigkeit verloren haben. Sie erscheinen außer Kraft gesetzt, so dass viele die durch sie vermittelten Sicherheiten immer stärker vermissen.

Das setzt Flucht- und Ausbruchsideen frei, die sich manchmal auch in altromantischen Erlebnisfantasien niederschlagen. So gab ich meinem Freund Felix gegenüber zu, mich wieder häufiger in meine pubertäre Lieblingslektüre, Joseph von Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts, zu vertiefen. Das, sagte ich bewundernd, ist eine wunderbar luftige Erzählung von radikalem Freiheitswillen. Der Schnee tröpfelt vom Dach des Elternhauses, der Vater ist unleidlich und borniert wie so oft – da packt der junge Taugenichts die Gelegenheit beim Schopf und zieht einfach los. Kein Gepäck, keine Absprachen, nur auf und davon!

Ach, antwortete Felix zum Schluss unseres Gesprächs, wenn man wenigstens das jetzt noch könnte!

Italienische Woche 2

Ist von der Italiensehnsucht der Deutschen die Rede, ist mir oft nicht ganz wohl. Was genau ist denn nun damit gemeint? Aus welchen Motiven besteht sie? Seit wann gibt es sie? Wie hat sie sich bis in die Gegenwart verändert?

Fragt man Italienreisende, werden meist die typischen Klischees genannt: Das unbeschwerte Leben, die vorzügliche Küche, die leuchtenden Farben, der Sinn für Mode und Schönheit, die Musik…

Stimmt ja alles, aber ich möchte es lieber noch genauer wissen. Wie haben sich einzelne Künstlerinnen und Künstler, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Musikerinnen und Musiker vor Ort (und an welchen?) auf die Umgebungen eingelassen? Wie haben sie diese Terrains erlebt und/oder studiert? Wie sah ihr italienisches Leben aus, detailliert, in allen Einzelheiten? Ich frage also präzise nach den „Erlebnisformen“ der Italienreisenden, nach der physischen und psychischen Organisation oder Architektur ihrer Tage und Wochen, nach der Verarbeitung ihrer Erlebnisse in den Künsten…

Das Museum im Kulturspeicher in Würzburg widmet sich der Italiensehnsucht  gegenwärtig in einer Ausstellung, die sich klugerweise auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt. Es geht um die Jahrzehnte von 1905 bis 1933 und damit um eine eher ungewohnte Perspektive: Wie haben sich Künstlerinnen und Künstler des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit den althergebrachten Italienmotiven angenommen, oder, mit anderen Worten: Wie hat die klassische Moderne diese Motive verwandelt?

Momentan ist die Ausstellung aus den bekannten Gründen nicht zu besichtigen, man kann aber auf digitale Angebote zurückgreifen. Ich empfehle besonders die Bilder für zu Hause. Diese digital präsentierte Sammlung zeigt einzelne Exponate, die man in Ruhe anschauen kann, um den eigenen Blick danach durch einen abgerufenen Kommentar zu erweitern:

https://www.kulturspeicher.de/digitale-angebote/italiensehnsucht/index.html

Italienische Woche 1

Gestern habe ich auf meine Online-Lesung aus den Italienischen Momenten (Sonntag, 31.01.2021, 18 Uhr) hingewiesen. Um darauf vorzubereiten, werde ich in dieser Woche lauter Fundstücke aus dem großen Italien-Kosmos präsentieren.

So kann man in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister gegenwärtig die Ausstellung Caravaggio. Das Menschliche und das Göttliche noch virtuell besuchen.

https://gemaeldegalerie.skd.museum/ausstellungen/begegnungen-caravaggios-johannes-der-taeufer-aus-rom/

Sie zeigt ein Meisterwerk des italienischen Malers (1571-1610) mit einer Darstellung Johannes des Täufers, das aus den Kapitolinischen Museen in Rom ausgeliehen wurde.

Um dieses Meisterwerk wurden über fünfzig Gemälde aus der Dresdner Sammlung gruppiert (darunter sogar ein Vermeer!), die belegen, welch enorme Wirkung Caravaggios Malweise auf die Maler der Zeit hatte. In seinem römischen Studio hatte er eigens ein Oberlicht anbringen lassen, so dass er den Lichteinfall auf Modelle und Objekte zu jeder Tageszeit studieren konnte. Die daraus entstehende Hell-Dunkel-Malerei galt schon bald als eine Sensation und bescherte Caravaggio lukrative Aufträge.

In einigen römischen Kirchen begegnet man seinen Meisterwerken (so etwa in Santa Maria del Popolo, San Luigi dei Francesi oder Sant´Agostino).

Und hier noch ein weiterer, interessanter Fund zum Thema (als Ergänzung):

Signierte Bücher – Nächste Online-Lesung

Seit der letzten Online-Lesung aus In meinen Gärten und Wäldern erhalte ich viele Anfragen von Leserinnen und Lesern, die sich signierte Exemplare dieses Buches zum Selberlesen oder Verschenken wünschen.

Solche signierten Bücher können Sie derzeit exklusiv über zwei Buchhandlungen erwerben (entweder dort abholen oder sich per Post schicken lassen):

Meine nächste Online-Lesung (aus den Italienischen Momenten) findet als meine Abendmusik 6 am Sonntag, 31.01.2021, 18 Uhr, im Kulturwerk von Wissen/Sieg statt. (Den Ablaufplan dieses Abends mit Text- und Musikangaben finden Sie am Samstag/Sonntag in diesem Blog!)

Tickets für den Live-Stream sind zum Preis von 12 Euro erhältlich bei allen Reservix-Vorverkaufsstellen (soweit geöffnet!) und im Internet unter kulturwerk-live.de.
Bis eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn kann eine Karte gekauft werden, ein später Kauf muss jedoch mit Direktüberweisung oder Kreditkarte gezahlt werden. Der aufgedruckte Ticket-Code ermöglicht einen Abruf der Lesung innerhalb von 72 Stunden (Zugang ebenfalls über www.kulturwerk-live.de). Ein nachträglicher Erwerb ist nicht möglich.

Bei Fragen hilft der buchladen Wissen weiter (Tel. 02742 /1874, bis Samstag, 30. Januar, 13 Uhr).

Meine Seufzer, meine Tränen

Sonntag, 24. Januar 2021. Wir begeben uns auf eine Zeitreise zurück ins frühe achtzehnte Jahrhundert. Am 20. Januar 1726 dirigiert Johann Sebastian Bach während eines Gottesdienstes in Leipzig zum ersten Mal seine Kantate Meine Seufzer, meine Tränen (BW 13).

Auf eine Arie (Meine Seufzer, meine Tränen/ Können nicht zu zählen sein…) folgen ein Rezitativ (Mein liebster Gott lässt mich/ Annoch vergebens rufen…) und ein Choral (Der Gott, der mir hat versprochen/ Seinen Beistand jederzeit,/ Der läßt sich vergebens suchen/ Jetzt in meiner Traurigkeit…)

Auf diesen dreiteiligen ersten Teil folgt ein zweiter, wiederum dreiteilig. Diesmal beginnt Bach mit dem Rezitativ (Mein Kummer nehmet zu/ und raubt mir alle Ruh…), führt mit einer Arie weiter (Ächzen und erbärmlich Weinen/ Hilft der Sorgen Krankheit nicht…) und endet mit einem tröstlichen Schlußchoral (So sei nun, Seele, deine/ Und traue dem alleine,/ Der Dich erschaffen hat..).

Gerade stelle ich mir vor, dass Bachs Kantate heute aufgeführt und von einer Predigt über diese Texte begleitet würde. Wie aber könnte man so eine Predigt anlegen und sich dabei auf solche Zeilen beziehen, die so gegenwärtig erscheinen und wirken? Das wäre, denke ich, eine lohnende, zeitgemäße Aufgabe für einen guten Prediger.

Oder auch für einen selbst, predigtfern, eher monologisch?!

Im Buchstabenmuseum

In Berlin gibt es seit einigen Jahren ein Buchstabenmuseum (Stadtbahnbogen 424, 10557 Berlin). In seinen Räumen begegnet man einem großen Spektrum typografischer Exponate aus den unterschiedlichsten Materialien (Holz, Stahl, Neon). Es sind veritable Fundstücke aus dem großen Stadtraum, die abmontiert und vor dem Verfall gerettet wurden.

In den Museumsräumen erhalten sie ihre besondere Aura zurück. Manche leuchten, andere verschließen sich, jedes verweist auf seine Entstehungszeit und demonstriert eine spezifische Ästhetik, die ihm einen charaktervollen Ausdruck verliehen hat.

Momentan kann man dieses Imaginarium, das alle faszinieren  wird, die mit Schrift und Schreiben zu tun haben, nicht besichtigen. Man kann aber eine virtuelle Tour durch die Räume antreten, einzelne Exponate studieren und sich in die Besonderheiten der jeweiligen Schriftzüge vertiefen:

https://www.buchstabenmuseum.de/buchstaeblich-entdecken/

Tut man es in der Ruhe eines Wochenendes, wecken die Schriftzeichen Erinnerungen. Da sie alle einmal im öffentlichen Raum auftauchten und ihre Rollen spielten, erscheinen sie wie Figuren, die aus ihrer Zeit berichten. Fehlt nur noch, dass man die wach gewordenen Erinnerungen fixiert und aufschreibt – zum Exponat eine kurze Erzählung…

52 Inspirationen

Im Tagesspiegel hat Christiane Peitz einen Artikel über das Online-Videoprojekt Eurograph veröffentlicht, das mich begeistert hat. Man gibt ein Wort seiner Wahl ein, aus deren Buchstaben eine Playlist komponiert wird.

Sie wiederum ist das individuelle Programm eines Reigens von Texten, Spielen und Performances, die etwas wunderbar Leichtes und Gelöstes haben.

So kann man, inspiriert von 52 Künstlerinnen und Künstlern: schauen, lauschen und mitschwingen, so viel und so lange man will…

https://www.tagesspiegel.de/kultur/das-video-kunstprojekt-eurograph-alphabet-der-guten-laune/26836082.html

 

Digitale Lesungen 2

Der Vortragssaal des Literaturhauses Stuttgart bietet ca. zweihundert Personen Platz. Als ich ihn gestern aus Anlass meiner Online-Lesung betrat, war er fast leer. Keine Stuhlreihen, kein Publikum, wohl aber ein großes Regiepult mit mehreren Monitoren. Daran saß Alex Katsaros, der meine Lesung vorbereitete und noch einmal den Ablaufplan durchging, den ich ihm zugeschickt hatte. Auch Stefanie Stegmann, die Leiterin des Literaturhauses, war da, und wir unterhalten uns eine Weile über die erheblichen nicht nur finanziellen Probleme, mit denen die Literaturhäuser gegenwärtig zu kämpfen haben.

Kurz darauf saß ich an dem kleinen Lesetisch, an dem ich schon unzählige Male (dann aber natürlich vor Publikum) gesessen habe. Alex Katsaros hatte in Absprache mit mir ein bildliches Szenario unterworfen: Ich sollte als Vortragender laufend im Bild bleiben – und zu meiner Linken sollte man die eingeblendeten Fotos meines Buches In meinen Gärten und Wäldern sowie die von mir ausgewählten Musikvideos (siehe meinen gestrigen Blogbeitrag) zu sehen bekommen.

Ich trank vor Beginn noch eine kleine Flasche Wasser und las ein paar Sätze, ich saß bequem und hatte nur Stefanie Stegmann und Alex Katsaros vor mir, die an den Monitoren saßen und meine Lesung als Regieduo verfolgten.

Sind Sie bereit?! Ja, war ich. Stefanie Stegmann begrüßte die Leserinnen und Leser (in aller Welt) – dann begann die Lesung. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass weit mehr als die in Präsenzveranstaltungen möglichen zweihundert Gäste zugeschaltet hatten, die Schätzungen anhand der eingegangenen Ticketwünsche beliefen sich auf mehr als das Doppelte.

Die große Zahl irritierte mich aber nicht, ich konzentrierte mich auf die Lesung  – die Texte aus zwei Büchern, meine Fotos, die Videos, meine Kommentare zu den Textstellen, Bildern und Filmen – und ich spürte, wie stark diese Konzentration war und wie sie im Verlauf der Lesung noch stärker wurde. Dazu trug die Stille im Raum bei – und nicht zuletzt die erhöhte Aufmerksamkeit des Regieduos und seine Präsenz in naher Ferne.

Fast anderthalb Stunden dauerte die Lesung – und war auf diese Weise (trotz fehlendem, stark vermisstem Publikum) eine neue, sehr gute und interessante Erfahrung: Das Zusammenspiel der Medien, keine Ablenkung, eine Lesung wie aus einem Meditationsraum, aus dem das Flüstern nach draußen dringt, weitergeleitet wird und Impulse überallhin verbreitet.

Danach streifte ich allein durch das leere, nächtliche Stuttgart. Leicht überdreht, bildete ich mir ein, dass meine Lesung Wellen und Wogen geschlagen hatte. Im Schaufenster eines Geschäfts mit elektronischen Geräten erkannte ich einige Fernseher mit laufendem Programm. Die Nachrichten berichteten von der Vereidigung des neuen Präsidenten Joe Biden in den USA. Schau hin, sagte ich mir, komm wieder zu Dir, Du bist nicht allein auf der Welt…