Heute früh habe ich mit meinem Freund Ansgar (er wohnt in Göttingen) telefoniert.
Ansgar: Was ist los, Du klingst so belegt… – Ich: Heute ist ein trauriger Tag, kaum zu ertragen. A.: Was ist denn passiert? Ich: Heute ist Wieverfastelovend in Köln, und kein Mensch darf so richtig feiern. Alkoholverbot, stell Dir das vor, Alkoholverbot in Köln!! Kein Mensch auf dem Alten Markt, keiner auf dem Wilhelmplatz in Nippes. Da habe ich viele Jahre lang gefeiert, gesungen, getanzt, vom Wieverfastelovend bis Aschermittwoch. Sechs Tage. Und jeder Tag mit eigenen Riten und Bräuchen. Normalerweise ist es ein Traum! A.: Ein Traum von sechs Tagen? Ich: Ja, unbedingt. Man verschwindet aus dem sonstigen Leben, ist unerreichbar, ist außer sich, verstehst Du? A.: Nicht so richtig. Du hast wirklich getanzt? Ich: Ja, hab ich. A.: Im Ernst?! Kann ich mir schlecht vorstellen. Ich: Wer Köln nicht von innen her kennt, kann sich Köln sowieso nicht vorstellen. A:. Ist das ein Vorwurf? Ich: Ach was. Köln ist eben keine Stadt wie jede andere. Köln ist eine Prägung mit einer sehr starken Lebenslust. Absolut, radikal. Die steckt ein ganzes Leben lang in Dir. A.: Darüber solltest Du mal schreiben. Ich: Warte ab! Darüber schreibe ich. A.: Und was machst Du nun heute, an diesem traurigen Tag? Ich: Singen, feiern, im Stillen. A.: Das hört sich ja grausam an. Ich: Das ist es auch. Grausam. Und verdammt traurig. Hör mal zu… – und schau…
Un mir singe Alaaf, villeich e betzje stiller
Un dat, wat do wor, kütt janz bestimmp baal widder
Kumm, mer singe Alaaf, denn süns sin mir verlore
Un mir singe janz hösch för e besser Morje
Am 24.10.2020 habe ich in diesem Blog über meine Fernverbindungen zur japanischen Kultur (oder besser: den Themen und Motiven, die ich für japanisch halte) nachgedacht. Gestern fiel mir diese Nähe wieder auf, als mir ein Freund das Rezept eines „japanischen Omelettes“ schickte.
Eigelb, Eiweiß, etwas Salz, etwas Zucker – mehr Zutaten braucht es nicht. Alles sehr einfach, schlicht, reduziert, aber mit einem hoch ästhetischen Ergebnis: Ein Omelette als schimmerndes Duo zweier Farben!
Zubereitung und Ergebnis empfand ich als „japanisch“. Und dass dies alles in französischer Sprache erläutert wurde, empfand ich als perfekte Zutat: als wären die französischen, hochpreziösen Formeln (vorgetragen von einem melodischen Koloratursopran) mit dem japanischen Gestus liiert…
Mal etwas Staunenswertes, Rares, Entlegenes, Befreiendes… – Arturo Benedetti Michelangeli (1920-1995) ist zweiundvierzig Jahre alt, als er, perfekt rasiert, mit Lackschuhen und Frack, an seinem Hausflügel eine kleine, unscheinbare Sonate in C-Dur von Baldassare Galuppi (1706-1785) spielt.
Galuppi kam auf der Laguneninsel Burano zur Welt, auf dessen zentralem Platz heute sein Denkmal steht. Er schrieb mehr als dreißig Opern, die er auch in London oder Petersburg aufführte, lebte sonst aber vor allem in Venedig.
Seine Opern werden kaum noch gespielt, unsterblich ist er nicht durch sie, sondern durch kurze Klavierkompositionen geworden, die etwas erkennbar Venezianisches haben, etwas Leichtes, Luftiges, hingesäuselt und beiseite gesprochen.
In C-Dur wirkt ein solches Temperament beinahe provokativ unschuldig und schlicht. Arturo Benedetti Michelangeli widmet sich ihm mit der Noblesse eines Mannes, der mit diesem C-Dur so umgeht, als hätte Galuppi persönlich es ihm in einer stillen Stunde angetragen.
Damit die Wälder des Stuttgarter Südens wenigstens in Gedanken und leuchtenden Bildern erhalten bleiben (siehe den gestrigen Eintrag!), verweise ich auf Buch im Süden von Beate Hiller.
Nur über diese Buchhandlung sind signierte Exemplare meines Buches In meinen Gärten und Wäldern telefonisch (0711-6493852) oder per Mail (buchimsueden@t-online.de) zu bestellen.
Frau Hiller schickt Ihnen auch gerne ein Exemplar zu, alles kein Problem.
Seit voriger Woche läuft im Stuttgarter Süden eine brutale Waldvernichtung. Im Rahmen von Stuttgart 21 lässt die Deutsche Bahn auf großen Hangflächen, die vom Gleisverlauf bis zu den Höhen reichen, den gesamten Baumbestand entfernen. Hunderte Eichen und Buchen werden gefällt, um eine sogenannte „Ausgleichsfläche“ für jene Naturzonen zu schaffen, die im Stadtzentrum bereits für Stuttgart 21 draufgegangen sind.
Und was soll auf den kahlen „Ausgleichsflächen“ geschehen? Man fasst es nicht: Eidechsen sollen dorthin gebracht, ausgesetzt und angesiedelt werden! Hätte die DB sich bei den Bürgerinnen und Bürgern in der Nachbarschaft erkundigt, hätte sie wissen können, dass dort längst Eidechsen in Fülle vorhanden sind.
Was kann man zu solchem Irrsinn noch sagen?! Ist der BUND Stuttgart von dieser Aktion informiert? Wenn ja – wie ist er aktiv geworden? Und weiter: Wer wird überhaupt noch aktiv, um wenigstens die letzten noch stehenden Bäume (in der kommenden Woche geht das Baumschlachten weiter) vor dem Kahlschlag zu bewahren?!
Die DB hat eine private Firma (zynischerweise eine für „Landschaftspflege“) mit der Aktion beauftragt. Die Arbeiter fassen sich an den Kopf und können selbst nicht begreifen, dass sie für eine solche Vernichtungsaktion herhalten müssen. Einige sagten, dass sie am liebsten ihre Geräte hinschmeissen würden.
Der Blick auf die kahlen Flächen ist für die vielen Spaziergänger ein Schock. Sie bleiben stehen, bewegen sich nicht mehr von der Stelle, es sind traurige Momente, die man beobachten kann. Beschäftigt so etwas die DB? Keine Sekunde.
(Am 9.2.2021 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S. 4)
Mein Freund Jürgen ist Filmproduzent. Ich fragte ihn, wie er die Coronazeiten aus dem Rückblick dramaturgisch umsetzen würde. Er zögerte keinen Augenblick, sondern hatte bereits ein Drehbuch im Kopf. Die Coronazeiten, sagte er, sind eine Netflix-Serie. Das Virus wäre das unsichtbar Böse, aggressiv, mächtig, gefährlich. Seine Gegenspieler bildeten eine zerstrittene Mannschaft, angeführt von einer sich mütterlich gebenden Direktorin und geltungssüchtigen Abteilungsleitern. Ihnen unterstünden Riegen von unauffälligen Mitarbeitern, die sich um die Detailprobleme kümmern und den Chefinnen und Chefs die großen Auftritte im TV überlassen müssten.
Dramaturgisch reizvoll wäre die Rolle der hoch informierten Agenten, die den Kampf mit dem Virus in ihren Speziallabors aufnähmen. Jeder von ihnen schreibe an seiner eigenen Geschichte und führe den Kampf mit einer Spezialwaffe. Sie arbeiteten bestimmten Abteilungsleitern zu und vernachlässigten andere, die ihnen nicht recht trauten, sondern eher auf die Ratschläge der Kommentatoren setzten. Alle strebten jedoch danach, in den Hallen der Direktorin auftauchen und ein paar Worte mit ihr wechseln zu dürfen. Filterkaffee und Apfelkuchen aus ihrer Küche wären höchste Auszeichnungen und den Orden alter Zeiten vergleichbar.
Das Virus selbst wäre der entscheidende Spannungsträger und absolut professionell in seinen Methoden. In jeder Staffel der Serie gäbe es ein neues Aggressionsmoment, das von den Kommentatoren unverzüglich in allen Kanälen verbreitet würde. Mal droht es mit Mutationen, mal mit fehlendem oder wirkungslosem Impfstoff, mal aber auch schlicht mit dem Wetter oder schlecht sitzenden Masken. An Wintertagen zeigt es sich auf Rodelstrecken oder windigen Skipisten und sitzt zynisch grinsend auf den leeren Rängen der Fußballarenen. Mühelos gelingt es ihm, seine Fortsetzungsgeschichte ewig weiter zu schreiben, wofür Tag für Tag die bekannt gegebenen Infektionszahlen sowie undurchsichtige R-Werte herhalten müssten.
Abend für Abend schleiche es dann durch die leeren Straßen der Städte und schaue durch die Fenster der Wohnungen, in denen die Menschen angsterfüllt vor den unermüdlich laufenden Fernsehern säßen. Als Begleitmusik ließe es Verdis Gefangenenchor laufen, während es sich über die Yogaübungen der zum Sitzen und Ausharren Verurteilten amüsiere. Seine Wirkung verfolge es auch anhand der gestreamten Bilder, die laufend zusammenbrächen und menschliche Körperteile in herumschlingernde Luftballons verwandelten.
Auf die kulturellen und mentalen Besonderheiten der Weltregionen gehe es auf besonders infame Weise ein und liefere einen jeweils spezifischen Nachrichtenstoff. Mal konzentriere es sich auf asisatische Tiermärkte, dann wieder auf westfälische Fleischfabriken, Berliner Hochzeiten oder venezianische Vaporetti. Es liebe pathetische Metaphern wie „Das Licht am Ende des Tunnels“ oder „Die Glutnester des Coronatsunami“ und erscheine spöttisch in dichten Aerosolen-Wolken über nicht mehr lieferfähigen Impfstoffherstellern.
Du redest so forsch, als hättest Du für die Zukunft sogar schon bestimmte Hauptdarsteller im Blick, sagte ich zu Jürgen. Natürlich, antwortete er, das Virus arbeitet längst mit. Es hat die kommenden Wahlen, einschließlich der Bundestagswahl, fest im Griff. Da wird es um nichts anderes gehen als Coronacorona, und das Virus wird uns Möchtegernhauptdarsteller en masse präsentieren! Aber Achtung! Erfolgreiche Serien haben fast immer zweite und dritte Staffeln. Und die haben nicht selten zig Episoden. Kapiert?!
Annemarie Pieper war zwanzig Jahre lang Professorin für Philosophie an der Universität Basel. Zuletzt hat sie in mehreren Vorträgen auf sogenannte Sinnfragen geantwortet, die von ihren Leserinnen und Lesern zur Behandlung und Klärung vorgeschlagen wurden.
Dabei geht es um zentrale Begriffe unseres gegenwärtigen Existierens – wie etwa Selbstbestimmung, Gender, Endlichkeit, Sozialtauglichkeit oder Aufklärung.
Piepers Reflexionen fangen die Denkanstösse ein, indem zunächst ihre Herkunft und die möglichen Bedeutungen erläutert werden. In einem zweiten Schritt werden sie weitergedacht und zu einem Spektrum von konkreten Anwendungen ausgebaut – gut nachvollziehbar, wohltuend präzise und gelassen.
Im Vorwort betont Annemarie Pieper ausdrücklich, dass es sich nicht um akademische Fachvorträge handle, sondern um Versuche, „in allgemein verständlicher Weise auf die jeweiligen Probleme einzugehen“. Genau daran hat sie sich gehalten.
Das Nachdenken mit Annemarie Pieper ist angenehm spürbar: Als befände man sich in einem ruhigen Raum, käme „zu sich“ und würde ihn hinterher, aufgeklärt und vom Denken angeregt, mit neuem Schwung wieder verlassen.
Annemarie Pieper: Denkanstösse zu unseren Sinnfragen. Schwabe Verlag 2021
Meine venezianischen Freunde haben mir gestern mitgeteilt, dass in Venedig gerade Hemingways Roman Über den Fluss und in die Wälder mit großem Aufgebot und beachtlichem Etat (12 Millionen Euro) verfilmt wird!
Die Regisseurin ist Paula Ortiz, der Hemingway-Darsteller ist Liev Schreiber (genau im richtigen Alter des Colonel Cantwell!), die weibliche Hauptdarstellerin wiederum ist der „Shooting-Star“ der letzten Berlinale Matilda De Angelis (genau im richtigen Alter der Adriana Ivancich). Die Dreharbeiten sollen Ende Februar abgeschlossen sein.
Auf dem Foto, das meine Freunde von den Dreharbeiten heimlich geschossen haben (näher konnten sie nicht ran an das Team…), ist Liev Schreiber (im Trenchcoat links) gut zu erkennen…
Ich brauche nicht eigens zu sagen, wie mich dieses Filmprojekt freut! Von der Entstehung des Romans Über den Fluss und in die Wälder habe ich in Der von den Löwen träumte detailliert erzählt! Was wird es also für ein Vergnügen sein, vielleicht schon im Herbst den Film in einem Kino zu sehen, das Buch in der Tasche!! Ich kann es kaum erwarten und stelle mir gerade die Frage: Sollte ich nach Venedig fahren? Subito? Ist vielleicht noch die Rolle eines Nebendarstellers frei?
Seit Tagen regnete es. Das Wasser florte in schmalen Strömen über die Landstrassen und zog sich an den Rändern zu kleinen Teichen zusammen. Er bog in ein Waldstück ein und spürte, wie die weich gewordene Erde jeden Fußabdruck ansaugte. Der Wind fegte die von den Bäumen gestürzten Äste vor sich her und schob sie gegen die wackligen Gitterzäune vor den Lichtungen. Große Waldpartien waren tot, und die gestorbenen, kahlen Fichten standen da wie eine bleiche Legion. Er folgte einem Waldweg in die Tiefe, wo die Wasser des Baches einen rumorenden Strudel bildeten, der unter einem Überweg hervorschoss. Danach stürzten sie sich auf die Erdränder, rissen an ihren Krusten und gruben tiefe Rinnen ins Erdreich. Er stieg einen von Moosflechten überwucherten Pfad hinauf und wich den Spuren aus, die von den Pferden des nahen Hofes tief in die glitschigen Massen gegraben worden waren. Als er auf der Höhe stehenblieb und zurück ins Tal schaute, atmete er tief aus. Er war dem Sumpf der Wetter glücklich entkommen.
(Kurze Erläuterung: Fermerist die männliche Hauptfigur in meinem Debütroman Fermeraus dem Jahr 1979. In Fermers Wanderungenschreibe ich diesen Roman in der Gegenwart segmentartig weiter – in der Form von kurzen Natur- und Landschaftsbeobachtungen.)
Ich saß in der riesigen Halle des Kulturwerks Wissen/Sieg und schaute auf Hunderte leerer Stuhlreihen. Irgendwo, in weiter Ferne, hatte Timo Fiebach, der zuständige Techniker, seine Kameras und Regiepulte aufgebaut. Von der Höhe der angestrahlten Bühne schaute ich in ein milchig gefärbtes Schwarz, es war totenstill, vor mir nur ein Monitor, auf dem ich die Musikvideos verfolgen konnte.
Ich hatte viel Zeit gebraucht, sie für meine Abendmusik 6 auszuwählen. Jedes einzelne sollte sich auf die italienische Region (Rom/Venedig/Sizilien/Adria) beziehen, von der meine Texte gerade handelten. Schwarz-weiß-Videos mit Fotografien der Stadt- oder Landschaftsräume (Rom/Sizilien) sollten von Farbvideos abgelöst werden, die einzelne Interpreten (Jonas Kaufmann/Etta Scollo) während ihrer Musikdarbietungen aus der Nähe zeigten. Außerdem sollten die Gattungen wechseln: Canzone, Arie, Gondellied, Klassisches Musikstück, Alte Liedtradition…
Zwischen meinen Lesungen schaute ich also auf den Monitor und verfolgte die Musik. Mit jeder Minute packte sie mich mehr. Am liebsten wäre ich aufgestanden und auf der Bühne hin und her geeilt. Als Paolo Conte sein „Azzurro“ anstimmte, hätte ich in seinem Chor gerne mitgesungen, und als Angelo Branduardi zum Schluß nicht aufhören wollte, sein „Pulce d´ Acqua“ inmitten seiner Zuhörer zu tanzen, hätte ich am liebsten mitgetanzt.
Aber ich musste sitzenbleiben. Dann war es leider vorüber. Ich packte meine Siebensachen zusammen und schlich aus der riesigen Halle hinaus in den starken westerwäldischen Regen. Ich hatte nichts dabei, keinen Schirm, auch sonst keinen Schutz, doch das machte nichts. Randvoll mit Musik ging ich durchs Dunkel und sang ein Canzone nach dem andern. Wie sie mir gerade einfielen und wieder in den Sinn kamen.
So zog Italien in den Westerwald ein. Hunderte hatten das Streamingangebot verfolgt, weit über den Westerwald hinaus. Wie schön! – dachte ich – es hat sich gelohnt! Du hast die Regionen Italiens mit den Regionen zuhause verbunden! Beim nächsten Mal solltest Du Deine Präsentation erweitern, Du solltest singen und tanzen und…
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