Nach allen Regeln der Kunst

In diesen Tagen erscheint im Buchhandel mein neues Buch Nach allen Regeln der Kunst. Schreiben lernen und lehren (Insel-Verlag).

Es ist kein x-beliebiges Buch über Kreatives und Literarisches Schreiben, wie es viele auf dem Buchmarkt gibt, sondern die Summe von dreißig Jahren Lehre und Forschung am „Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft“ der Universität Hildesheim, das ich ins Leben gerufen und gegründet habe.

Die Leserinnen und Leser werden eingeladen, mit mir in meine Seminare zu gehen, kurze Vorlesungen zu Themen der literarischen Kreativität zu besuchen, sich Schreibaufgaben zu stellen, Formen des Erzählens zu trainieren und, vom leeren Blatt bis zum Roman testend, notierend und gestaltend, zu erleben, wie Literatur auf professionelle Weise entsteht.

Seit 1990 hatte ich unendlich oft Gelegenheit, begabte und hochbegabte junge Autorinnen und Autoren bei ihren frühen Schreibversuchen zu begleiten, ihre Texte zu lektorieren und mit ihnen darüber nachzudenken, wie sie sich verbessern und ausarbeiten ließen.

Dieses Buch ist gleichsam die Summa meiner Erfahrungen. Es ist angelegt wie eine weite Wanderung durch alle Aspekte des Erfindens, Fantasierens und Komponierens, und das erstmalig auch in engem Bezug zu Kunst, Musik, Fotografie, Film, Theater und damit zu all jenen Künsten, die auf sensorische Weise elementare Inspirationen für das Schreiben vermitteln.

Als ganzes soll es wie eine große Polyphonie des Sprechens über kreatives Denken und Handeln wirken, in deren Verlauf ich auch viele andere Autorinnen und Autoren der Gegenwart zu Wort kommen lasse. So gelesen, ist es ein abwechslungsreiches und anregendes Gespräch über all das, was Schreibwillige beschäftigt und umtreibt.

(Das Foto zeigt das Mainzer Rheinufer mit der alten Rheinbrücke und damit jenen Raum, in dem die erste Szene meines Debütromans „Fermer“ angesiedelt ist.)

Der „Junge Riese“ ist gepflanzt

Am 2.11.2024 habe ich in diesem Blog zu einer Feierstunde in meinem westerwäldischen Heimatort Wissen, Sieg eingeladen. Die Feier galt der Neupflanzung von zwei Abkömmlingen einer vierhundertjährigen Eiche in der Nähe des Torsos der alten.

Mehr als hundert Personen waren gekommen, um diesem festlichen Akt beizuwohnen. Begrüßung durch den Bürgermeister (Berno Neuhoff), Rede eines involvierten Autors aus der Nachbarschaft (Hanns-Josef Ortheil), Segen und Verlesung des ersten Psalms (Dechant Kürten): Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen / noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des HERRN und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.

Was keiner von den Vielen planen konnte und so erwartet hatte: Die Texte wirkten in ihrem Zusammenklang stark berührend und reihten sich zu einem Ensemble.

So dass  am  Ende die Vielen zu einem Kreis und unter der Ägide des Hirten zu einem seltenen, historischen Bild zusammenfanden.

„Singen wir jetzt?“ fragte danach noch ein Kind.

Vom Trost der Bäume

Vor kurzem kam ich wieder einmal aus dem tiefen Süden zurück nach Deutschland. Ich fuhr über Bologna Richtung Vicenza und machte einen Abstecher nach Asiago. Die Fahrt führte lang gezogene Serpentinen hinauf zu einer weiten, offen daliegenden Hochebene von tausend Metern Höhe, die im Ersten Weltkrieg schwerste kriegerische Auseinandersetzungen im Verlauf des Gebirgskrieges zwischen Österreich-Ungarn und Italien erleben musste.

Das in den unterschiedlichsten Grüntönen heutzutage friedlich daliegende Gelände erinnerte mich an die westerwäldischen Höhenlagen mit ihren dunklen Waldkuppen und mächtigen solitären Bäumen. Ich wanderte einen der schmalen Schotterwege entlang, auf einer Seite erschien eine Reihe schlichter Häuser, jedes eine Gebirgsschönheit für sich. Nebenbei erfuhr ich, dass eines von dem Schriftsteller Mario Rigoni Stern nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut wurde und lange Zeit die wiedergefundene Heimstatt seines bis 2008 dauernden Lebens war.

Mario Rigoni Stern wurde 1921 in Asiago geboren und im Alter von nur siebzehn Jahren italienischer Soldat. Er diente im legendären Alpini-Corps des italienischen Heeres, das 1943 in Russland eingesetzt wurde, wo Zigtausende dieser Einheiten unter schlimmsten Bedingungen starben. Später kam er als italienischer Militärinternierter in deutsche Gefangenschaft.

Als er nach all diesen schrecklichen Jahren einer verlorenen Jugend wieder in seine Heimat Asiago zurückkehrte, baute er dort das kleine, rosarote Haus, auf das ich gestoßen war.

Ringsum war es von einem beeindruckenden Baumbestand umgeben – auch diese Bäume hatte Rigoni Stern gepflanzt. Sie boten dem Lebensraum seiner Familie nicht nur Schutz, sondern wirkten noch in einem anderen, erweiterten Sinn. Darüber hat er 1991, als die von ihm gepflanzten Bäume eine gewisse Höhe und Stärke erreicht hatten, ein beeindruckendes Buch mit dem Titel Arboreto salvatico veröffentlicht.

Unter einem Arboretum versteht man eine bewusst angelegte Pflanzung von Bäumen, eine Art Baumschule, deren Weiterleben nach der Pflanzung beobachtet, untersucht und durch Fachleute begleitet wird. Eine solche Baumschule hatte Rigoni Stern in der Umgebung seines Hauses angelegt, mit den Jahrzehnten war sie für ihn zu einem salvaticum geworden – zu einem Raum der Heilung und des Trostes. Vom Trost der Bäume ist denn auch der Titel der deutschen Übersetzung des Buches, die gerade erschienen ist.

Es porträtiert zwanzig Bäume in Texten „literarischer Vergegenwärtigungen“. Mit ihrer Hilfe pflanzt Rigoni Stern seine Lieblingsbäume gleichsam noch einmal neu, diesmal in Wörtern und Sätzen. Ich will, schreibt er, „von dem berichten, was ich im Laufe meines Lebens in Erfahrung gebracht habe, was ich auf meinen Wegen und beim Arbeiten im Wald, was ich aus neuen und alten Schriften, was ich von Dichtern, Holzfällern und Forstkundlern gelernt habe. Den Anfang machen die Bäume im Garten vor meinem Haus in den Bergen, gefolgt von den Bäumen in meinem Heimatland Italien.“

Entstanden ist ein wunderbares Buch der Naturbeobachtung, das ich (auch als Geschenk!) sehr empfehle!

Aus gegebenem Anlass 2

All den vielen Leserinnen und Lesern dieses Blogs, die mir zu meinem Geburtstag („Aus gegebenem Anlass“) gratuliert haben, danke ich sehr herzlich – und bitte um Verständnis dafür, dass ich nicht auf jede Mail antworten kann. (Ich wäre lange beschäftigt.) Daher sage ich einfach nur, dass Sie mir eine große Freude gemacht haben. Danke!

„Aus gegebenem Anlass 2“ stelle ich heute noch einmal den Mitschnitt einer Rundfunksendung von WDR 3 („Klassik Forum“) in den Blog. Sie wird bald nicht mehr über die Mediathek zu hören sein: „Wie ich Musik erlebe“.

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/klassik-forum/audio-wie-ich-musik-erlebe-der-schriftsteller-hanns-josef-ortheil-100.html

Momentan arbeite ich an einer zweiten Folge, die bald im WDR aufgezeichnet werden soll. Darin erzähle ich, wie mein junger Freund Mario (Student an der Kölner Musikhochschule) Musik erlebt. Er hat ein absolutes Gehör, was zu ganz besonderen, verblüffenden Wahrnehmungen von Umgebungen führt. 

Nebelkälte

Die frühmorgendlichen Nebel klammern sich an die Höhen und entlassen, indem sie langsam sich öffnen, Spuren des feinsten Regens. Er duckt sich bis Bodennähe, wo eine splittrige Kälte auf seine ersten Impulse geduldig wartet.

Die angekündigte Sonne bleibt aber verbannt oder verdrängt, sie dient sich lieber nicht an, sondern kauert auf Knien hinter den fest gewordenen Wäldern.

Weiter im Süden brettern die ersten Skiläufer ins Tal und bereden die nahe Saison zwischen den Gondeln der Berglifte.

Der Abschied vom Herbst fällt dir jedes Mal schwer. In Gedanken überspringst du Kälte, Schnee, Hagel und andere Unliebsamkeiten.

Schließlich reckt sich die frierende, steif gewordene Rose ins Grau und hält inne, als letzte Zuneigung.

Einladung zur Pflanzung eines „Jungen Riesen“

Am 10./11.4.2024 habe ich in zwei Blogeinträgen die Geschichte der vierhundertjährigen Eiche bei Paffrath in meinem westerwäldischen Heimatort Wissen/Sieg erzählt. Sie musste damals gefällt werden. Am kommenden Samstag, 9.11.2024, kommt es um 10.30 Uhr zur Neupflanzung einer jungen Eiche neben dem Torso der alten. Die Verbandsgemeinde Wissen/Sieg lädt mit der folgenden Pressemitteilung dazu ein. Ich schließe mich ihren Worten an!

Allen Leserinnen und Lesern des Blogs wünsche ich ein ruhiges Wochenende!

Feierstunde zur Neupflanzung einer Eiche aus dem Projekt „Junge Riesen“ am Naturdenkmal Paffrather Eichen in Wissen am Samstag, 9. November, 10.30 Uhr

Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung musste im April eine der drei Eichen des Naturdenkmals „Paffrather Eichen“ bis auf den Stammtorso gefällt werden. Diese Entscheidung hatte sich die zuständige Untere Naturschutzbehörde nicht leicht gemacht. Nach zwei Blitzeinschlägen kam es über die Jahre jedoch zu erheblichen Schädigungen und zu starkem Pilzbefall am Stammfuß des Baumes, wodurch keine Standfestigkeit mehr gegeben war.

Die Untere Naturschutzbehörde hat in Zusammenarbeit mit der Eigentümerin, der Katholischen Kirchengemeinde Wissen, und der Stadt Wissen in den vergangenen Jahren über Gutachten und angepasste Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen intensiv versucht, die Eiche zu retten. Letztlich blieb jedoch aus zwingenden Verkehrssicherungsgründen keine andere Wahl, als einen Rückschnitt auf Torso durchzuführen.

Am Samstag, 9. November, 10.30 Uhr, möchte die Stadt Wissen zusammen mit der Unteren Naturschutzbehörde der Kreisverwaltung Altenkirchen und der Katholischen Kirchengemeinde Wissen in einer kleinen Feierstunde den „Jungen Riesen“, einen Abkömmling der im April gefällten Eiche, pflanzen, der das Trio wieder komplettieren soll. Wir sind froh, dass der Pflanzenhof Schürg sich um den „Jungen Riesen“ gekümmert hat und uns bei der Neupflanzung unterstützt.

Wir freuen uns auch über die Zusage des Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil, der die Veranstaltung mit einer kurzen Rede bereichern wird. Abschließend wird Dechant Kürten die neue Eiche einsegnen.

Wir laden herzlich zur Teilnahme an dieser Feierstunde ein.

Robert Frank

Die kreativen Verbindungen zwischen Fotografie (Sehen) und Literatur (Schreiben) sind nur schwach erforscht. Leider machen die vielen Bücher zum Kreativen Schreiben sie nirgends zum Thema. Können Schreibwillige von Fotografien lernen? Lassen Fotografien sich als Inspirationen/ Anregungen für das Schreiben verstehen? Wie aber geht das?

Die Fotografien von Robert Frank könnten eine ideale Vorlage sein, sich solche Fragen einmal vor Ort zu stellen. Momentan sind sie in der Kölner Galerie Thomas Zander zu sehen:

https://www.koelngalerien.de/ausstellungen/the-americans-a-closer-look

Und damit ein wenig an „Hintergrund“ da ist, könnte man sich mit Hilfe dieses Films auf die Begegnung mit Franks Fotografien vorbereiten:

Aus dem Poetenleben

(Am 13. November 2024 auch als Kolumne im „Kölner Stadt-Anzeiger“, S.4)

Neulich hat ein hypererregter Schriftsteller während einer Preisverleihung lauthals dagegen protestiert, dass nicht er mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, sondern jemand anderes, eine zum Glück deswegen nicht aus der Ruhe zu bringende Schriftstellerin. Der aufgebrachte Poet machte geltend, dass er das Preisgeld gut hätte verwenden können. Um die Kosten für seine Scheidung zu begleichen oder auch, um Schulden zu bezahlen.

Die meisten meiner Freunde fanden den Auftritt lächerlich und hatten sofort einige komische Nummern im Kopf, die ihn noch imposanter und spektakulärer gemacht hätten. Man kann ihn aber auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Für einen kurzen Moment war das Poetenleben nämlich seines Glanzes entkleidet und erschien nackt.
Der Poet schrumpfte zum Autor mit Geldnöten, Büro und Betriebskosten.

Dass ein so reales Dasein das Autorenleben vor allem ausmacht, war wenigen meiner Freunde deutlich bewusst. Sie lesen gern und habe ihre Freude an Büchern, aber sie stellen sich das Leben von Autoren meist noch immer als ein gesegnetes vor. Der Segen kommt vom Himmel, die Einfälle und Themen des Schreibens werden durch Musen eingegeben und an Orten der Inspiration ausgebaut. Ein Leben im Süden am Meer trägt dazu bei, auch Bergwanderungen in der Schweiz ermöglichen ein stressfreies Leben der Schreibenden, die über unendlich viel Freizeit verfügen, was die Etikettierung als freie Autorinnen und Autoren unterstreicht.

Knochentrockene betriebswirtschaftliche Untersuchungen dagegen haben ergeben, dass von den etwas mehr als dreitausend Autorinnen und Autoren, die in der Künstlersozialkasse versichert sind, höchstens einhundert bis zweihundert vom Schreiben allein leben können. Nicht die Fülle genialer Ideen treibt sie vor allem um, sondern die eisernen Mischkalkulationen, mit denen sie ihr monatliches Einkommen berechnen.

Woher soll das Geld kommen? Für ein im Handel mit einem Preis von 20 Euro angebotenes Buch erhalten sie höchstens zwei Euro. Ein kleiner Knaller wäre bereits ein Buch, wenn es 5000mal verkauft worden wäre. Als Bestseller gilt es heutzutage, wenn gerade mal 15 000 Stück über den Ladentisch gewandert sind. Dann stünden dem Schreibgenie immerhin 30 000 Euro zu, die es allerdings in mehrjähriger, geduldiger und stummer Arbeit am einsamen Schreibtisch nur im Glücksfall erworben hätte.

Das angeblich freie Leben erfordert also ein Zweitleben. Es besteht aus vielen, kleinen Nebenhers, „Brotberufe“ genannt. Mit solchen Pflichtaufgaben geht man auf Lesereise, schreibt Artikel, arbeitet in einem Verlag als Aushilfskraft mit, erkundet die Umgebung als Taxifahrer oder macht irgendwas mit Hard- oder Software und damit (vollmundig) in „Informationstechnologie“.

Im günstigeren Fall helfen erfinderische Nebenjobs, man kann jungen Leuten Nachhilfestunden erteilen oder auch Hobbies wie Reiten, Golfen und Laufen einigen ahnungslosen Bekannten auf anspruchsvolle und spirituelle Weise als Coach näherbringen. Die Edelnuance verbindet das Nützliche mit dem Schönen. Dann ist man als Reiseleiter am Meer oder in den Bergen unterwegs und erläutert enthusiasmierten Mitreisenden, wie Thomas Mann es schaffte, mit Blick aufs Meer oder als Mitpatient in einer Bergklinik dicke Romane zu schreiben.

Die Verwandlung des Alltäglichen ins Einzigartige gilt in Insiderkreisen als der Gipfel der Mischkalkulation. Man fährt in den Süden und kann das splendide Leben als Betriebskosten steuerlich geltend machen. Schließlich dienten die Spaziergänge in schöner Natur nichts anderem als einer Kontaktaufnahme mit ebenfalls frei flanierenden Musen. Das Nobelniveau wird erreicht, wenn das alles zu einer Verbindung oder gar Heirat mit einer Person führt, die einen als Nebenerwerbsquelle von allen finanziellen Sorgen befreit.

Aber Vorsicht! So viel perfekte Ideenkalkulation kann deftig scheitern, dann läuft man nicht zuerteilten Preisen hinterher und grübelt am Ende darüber nach, ob sich durch eine ambitionierte Zweitheirat die Scheidung der Erstheirat finanzieren ließe.